Die Kammeroper traut sich zum zweiten Mal an eine Grand Opéra: Gounods „Faust“ wird in einem Arrangement von Leonard Eröd zum Besten gegeben.
Während Verdis Don Carlos für seinen kläglichen Effekt in der kleinen Kammeroper kritisiert wurde, funktioniert hier die Umarbeitung erstaunlich gut: Der veronesische Dirigent Giancarlo Rizzi animiert das Wiener Kammerorchester zu einem kohärenten, satten Klang, der nicht viel vermissen lässt. Die Inszenierung durch den jungen Regisseur, Puppenbauer, Kunstpfeifer und Schauspieler Nikolaus Habjan sorgt für Spannung, Witz und Dramatik. Habjan drückt dem Stück seinen berüchtigten Stempel auf: Die Sänger spielen ihre Rollen allesamt mit Puppen. Und obwohl es dadurch einige technische Schwierigkeiten gibt, lässt das Konzept aufhorchen und den Klassiker Faust neu erleben.
Die Gesellschaft als ein Puppenspiel
Das Puppenspiel spiegelt die vielen delikaten Facetten unserer Gesellschaft wider, in der jeder mehrere Rollen einnimmt: Mal werden die ausdrucksstarken Gips-Puppen schützend vor das Gesicht gehalten, dann in emotionalen Momenten wieder fallen gelassen.
Wer im Burgtheater Habjans Stück Böhm gesehen hat, erkennt seine Leidenschaft für Puppen unterschiedlichster Form: Die Protagonisten sind beinlose Mini-Replikationen der Sänger, während Madame Schwertlein bloß einen Kopf bekommt. Nur Mephisto hat einen ausgewachsenen, lebensgroßen Körper.
Um die Idealisierung Marguerites darzustellen, werden Masken getragen: Die glatten, retouchierten Abdrücke von Marguerites Gesicht, implizieren die Anschauung der Frau in unserer #filter-Welt. Als Marguerite schließlich als Einzige ihre Puppe von sich wirft und als „nackte“, emanzipierte Frau vor dem Publikum steht, halten alle den Atem an.
Begeisterter Applaus für den Dämonentanz und die Sänger
Mit durchdachten Choreographien sorgt Habjan für einige Lacher im Publikum, beispielsweise mit dem dämonischen Tanz in der Walpurgisnacht oder Mephistos, bzw. Fausts, Ständchen für Marguerite.
Es überzeugen die Mitglieder des Jungen Ensembles Jenna Siladie (Marguerite) und Kristján Jóhannesson (Valentin), sowie die Gäste Ghazal Kazemi (Siebel), Benjamin Chamandy (Wagner) und Juliette Mars (Marthe Schwertlein) mit souveränem, rührendem Gesang.
Leider scheint bei Bass Dumitru Mădăraşăn das silbenbetonte Puppenspiel die Phrasierung übernommen zu haben: Das skizziert einen etwas groben, rohen Mephistopheles. Der junge, französische Tenor Quentin Desgeorges singt den Faust und überrascht mit beeindruckenden, kräftigen Spitzentönen, aber auch mit gelegentlichem Ausbleiben der Stimme.
Die kleine Bühne der Kammeroper wird durch die Solisten, die Chorsänger des Arnold Schönberg-Chores und den verschiedenen Puppen teilweise überfüllt, teilweise aber auch schön genutzt. Habjan beweist sich als junger, vielseitiger Regisseur, der auch Grand Opéra machen kann.
Titelbild von Herwig Prammer
Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.