„Komm! ins Offene, Freund“ – Friedrich Hölderlin wird 250

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Er philosophierte mit Hegel und Schelling, unterhielt sich mit Schiller, Goethe und Fichte, und Heidegger widmete ihm sein Spätwerk: Friedrich Hölderlin. 2020 erscheint, anlässlich seines 250. Geburtstages, Rüdiger Safranskis Biografie Komm! ins Offene, Freund im Hanser Verlag. Das Buch beschreibt ein von Einsamkeit geplagtes Genie.

Großes Unglück 

Im Jahr 1806, Hölderlin ist 33 Jahre alt, wird er von der Regierung entführt und für Jahre gefangen gehalten und gefoltert. Der Grund: Verdacht auf revolutionäre Machenschaften. Tatsächlich ist Hölderlin, wie ein Großteil der damaligen Intellektuellen, Bewunderer der Französischen Revolution. Einer seiner engsten Freunde, und möglicherweise sogar Liebhaber, ist der brilliante Jus-Student Isaac von Sinclair. Dieser ist ein radikaler Jakobiner und hofft auf eine deutsche Revolution. Hölderlin wird wegen seiner Beziehung zu Sinclair verdächtigt und gefangengenommen. Ihm wird ein toxischer Medikamenten- Cocktail eingeflößt. Als er freigelassen wird, ist er nicht mehr derselbe. Die übrigen 36 Jahre seines Lebens verbringt er in einer Kammer in einem Turm in Tübingen, bei »geistig umnachtet[em]« Zustand. 

Der Hölderlinturm in Tübingen

Drei Genies in Württemberg

In seiner Gymnasialzeit in Württemberg freundet sich Hölderlin mit Schelling und Hegel an. Sie bilden den wahrscheinlich einflussreichsten Denkerklub der Geschichte. Aus ihm entsteht die Grundidee für Hegels Dialektik und Hölderlins Poesie. Ausgangspunkt ihrer Gedanken ist die Suche nach einem intellektuellen Zugang zum Christentum. Sie stellen fest, dass nur jemand, der an Gott glaubt »Göttliches in sich tragen kann«. 

Hölderlins göttliche Ideale findet er im antiken Griechenland. Mit seiner Poesie versucht er, dessen philosophische und ästhetische Gedanken weiterzuführen und zu modernisieren. Ähnlich wie die Synthese in Hegels Philosophie ist die »Verschmelzung mit dem Äther seiner Zeit« Hölderlins höchstes, spirituelles Ziel. Dies soll ihm nie gelingen.

Ein einsamer Dichter

In Hölderlins einzigem Roman Hyperion beschreibt der Ich-Erzähler seine unglückliche Liebe zu Diotima. Er stellt fest, dass Diotima zu schön und vollkommen ist, um auf seine Liebe angewiesen zu sein, während er ohne Diotima nicht sein kann. Dieses einseitige Abhängigkeitsverhältnis verhindert die vollständige Verschmelzung der Charaktere, die in Hölderlins Poetik so viel wie erfülltes Liebesglück bedeutet. 

Der Ursprung dieser Handlungen ist zum Teil biographisch. Nach dem Prinzip – Die, die Hölderlin wollen, will er nicht und die, die er will, wollen ihn nicht – bleibt Hölderlin Zeit seines Lebens von der Liebe unberührt. 

Aber auch in anderen Teilbereichen seines Lebens schafft er jene Verschmelzung nicht. Weder findet er zu dem Glauben, zu welchem seine Mutter ihn erzieht, noch zu dem künstlerischen Erfolg, von welchem er träumt. Hölderlin bleibt bis hundert Jahre nach seinem Tod ein »Geheimtipp« für Lyrikliebhaber. 

Isolation 

Nachdem Hölderlin seinen Turm in Tübingen bezieht, schlafen die meisten seiner Kontakte zur Außenwelt ein. Sogar der früher sehr rege Briefwechsel mit der Mutter hört auf. Hölderlin verbringt 36 Jahre fast allein. Seine Dichtung wird zunehmend chaotisch, die Sätze konfus. Sein Meisterstück ist ihm, beinah unbemerkt von der Öffentlichkeit, aber schon gelungen. Das Gedicht »Hälfte des Lebens« wird kurz vor seiner Inhaftierung im Jahr 1805 veröffentlicht und gilt bis heute als eines der schönsten deutschen Gedichte. Es handelt, welch Überraschung, von der Verschmelzung von Mensch und Natur.

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Vereint

Heute, zu seinem 250. Geburtsjahr, wird Hölderlin von der Literaturwissenschaft in höchsten Tönen gelobt. In Komm! ins Offene, Freund! möchte Safranski die Biografie Hölderlins anhand seines Innenlebens darstellen und spekuliert über die emotionalen und philosophischen Einflüsse, die auf den Dichter wirken mussten. Ziel der Biografie ist es, zu verstehen, wie es einem Geist gelingen kann, Meisterstücke wie »An die Parzen« oder »Hälfte des Lebens« zu schaffen. Safranskis Vorschlag: Ein Spannungsverhältnis zwischen Philosophie und Gefühl, Weitblick und Meditation. Komm! ins Offene, Freund! ist eine würdige Hommage an einen der größten deutschen Dichter. 

Rüdiger Safranski Hölderlin Komm ins Offene , Freund!
© Hanser Literaturverlage

Weitere Informationen

Hier geht’s zum Buch in gebundener Ausgabe. 

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