Seit Kurzem hat die Albertina Modern ihre Türen geöffnet und begeistert mit der phänomenalen Ausstellung The Beginning. Kunst in Österreich 1945 bis 1980. Auf zwei Stockwerken wird Österreichs moderne Kunstgeschichte aufbereitet und mit den sozialen und politischen Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts verglichen.
Titelbild: Robert Klemmer: Laufender Klemmer, 1969; Öl-Eitempera-Mischtechnik auf Leinwand; ALBERTINA, Wien © Estate Robert Klemmer
Epochenübergreifende Werke
Während Autoren der Nachkriegszeit die Trümmerliteratur prägten, hinterließ der Krieg auch die Malerei völlig zerrüttet und grundlegend verändert. Bis heute verließen die Schreckensbilder von Kriegsopfern und Konzentrationslagern die Malerei nicht. Zum Beispiel findet der Wiener Aktionismus, drei Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs, einen spektakulären Zugang zu der Materie. The Beginning zeigt unter anderem einen der bekanntesten Aktionisten: Günter Brus versucht mit seinen Selbstbemalungen die schockierenden Schicksale der »Gueules Cassées« aufzuarbeiten, Menschen, welche im Krieg völlig entstellt wurden.
Ähnliche Motive verwendet Gottfried Helnwein. Die Ausstellung zeigt einige seiner früheren Werke: Aquarelle von Kindern, die verletzt und gedemütigt werden. Besonders eindringlich ist die Abbildung eines Zahnarztes, der einem Buben einen überdimensionierten Bohrer in den Rachen schiebt. Eine Anspielung auf Naziarzt Mengele?
Sehr abstrakt malt sein Zeitgenosse Arnulf Rainer: Einige seiner düsteren Wachs- und Kohlearbeiten, und natürlich auch Übermalungen, sind zu sehen. Viele von Rainers Motiven spiegeln ein tief verletztes, triebgesteuertes Innenleben wider und lösen beim Betrachter Angst aus.
Rainers frühere Partnerin Maria Lassnig überrascht mit dem Bild Mit einem Tiger schlafen, welches genau das zeigt, was der Titel verspricht. Lassnigs Œuvre handelt von der Absurdität der boomenden Wirtschaft in den 60er und 70er-Jahren und der Entfremdung des Ichs von seinem Umfeld.
Schwerpunkt Feminismus
Ein ganzes Stockwerk wird dem Feminismus gewidmet. Das Œuvre der Feministin und Künstlerin Valie Export wird dabei besonders ausführlich inszeniert – kein Wunder, sie feierte heuer ihren 80. Geburtstag. Das vielfach prämierte Multitalent begeistert unter anderem mit ihren sozialkritischen Aktionen im öffentlichen Raum. Einige Videoaufnahmen können in The Beginning gesehen werden. In der vielleicht bekanntesten Aktion stellt Valie Export die sexistische Männerwelt bloß: Mit einer Kiste um die Oberweite stellt sie sich als junge Frau in die Wiener Innenstadt. Gegen ein Entgelt erlaubt sie Männern, durch eine Öffnung in der Kiste, ihre Brüste zu betasten. Eine Menschentraube bildet sich, Männer stehen Schlange um sie zu begrapschen.
Valie Export bedient sich in ihrem Schaffen verschiedener Medien. Die Photographie Aktionshose: Genitalpanik zeigt sie in Latexoverall und mit einer Maschinenpistole in der Hand. Die Hose ist im Schritt so ausgeschnitten, dass ihre Vulva sichtbar ist. Als die Photographie 1969 erschien, war sie eine Kampfansage gegen veraltete Frauenbilder und provozierte das konservative Spießbürgertum.
Valie Export ist eine Vorreiterin des künstlerisch praktizierten Feminismus und beeinflusst bis heute Künstler*innen.
Österreich im Zentrum
Kaum eine Ausstellung in Wien ist so vielseitig wie The Beginning, ohne anstrengend oder überbietend zu wirken. Neben den erwähnten Künstler*innen werden in The Beginning fast 100 weitere ausgestellt. Darunter Superstars wie der Bildhauer Alfred Hrdlicka, die Maler Markus Prachensky, Max Weiler und viele mehr.
Es wird ein Bewusstsein für die nationale Kunst geschaffen und auf diese Art und Weise werden heimische Künstler*innen gefördert. Die Ausstellung ist von demselben künstlerisch hohen Anspruch, wie sie politisch bildend wirkt. Ein Muss für jede*n Wiener*in!