Kunstelite

Ist Kunst für alle? – Der gesellschaftliche Preis der Kunstelite

///
6 mins read
Start

Jedes Jahr wieder Neujahrskonzert, jedes Jahr wieder Sommernachtskonzert. Die musikalische Elite zeigt der Welt, welch Land der Kultur Österreich ist. Der Kulturbegriff ist unmittelbar mit Gesellschaft verbunden. Die Strukturen von Kultur innerhalb einer Gesellschaft können so auch Strukturen offenbaren, die unserer Gesellschaftsordnung zugrunde liegen. Wenn wir also Kultur als Teil dieser Gesellschaft verstehen, sollten dann nicht auch alle an ihr teilnehmen? Wer sind diese Leute, die uns kulturell repräsentieren und mit denen wir uns identifizieren?

Der Bildungsweg der Kunstelite

Vor dem Vorspiel, um Teil des musikalischen Gesichts Österreichs zu werden, steht ein Leben, gewidmet dem künstlerischen Voranschreiten. In den meisten Fällen steht ein Musikstudium davor. Das bedeutet jahrelanger künstlerischer Einzelunterricht bei einem Menschen, der diesen Weg bereits erfolgreich gegangen ist, finanziert durch den Staat. Das bedingt natürlich eine enorme Exklusivität, geregelt durch Aufnahmeprüfungen. Diese beinhalten Verständnis von Theorie, gutes relatives Gehör, sowie natürlich möglichst hohe Fertigkeiten an Instrument oder Stimme. In der Theorie kann jede*r diese Prüfung machen und schaffen. Doch woher kommen diese Fertigkeiten und wer hat Zugang dazu?

Symptom des Milieu-Bildungssystems

Die gesellschaftlichen Strukturen in Österreich sind maßgeblich von einem sozialen Gedanken geprägt. Wir haben einen Sozialstaat, dessen Aufgabe es sein sollte, das freie/öffentliche Kapital möglichst breit in der Gesellschaft zu verteilen. Das beinhaltet auch geistiges und kulturelles Kapital. Alle, unabhängig von sozialen Schichten oder Milieus, sollen Zugang zu Bildung und Kultur als wichtigen Bestandteil unserer Gesellschaft haben. Demgegenüber steht allerdings ein von einem elitären Gedanken und dem Bestreben herausragender Exzellenz geprägtes künstlerisches Bildungsfeld. Generell wird unser Bildungssystem einem sozialen Gedanken nicht gerecht. Bereits nach der Volksschule erfolgt eine grobe Selektion, die den weiteren Bildungsweg und die Illusion von Chancengleichheit dominieren. Von freiem Hochschulzugang kann da nur in Verbindung mit Zynismus die Rede sein. Der künstlerische Bildungsweg ist also nur ein Extremfall und Symptom dieses Milieu-Bildungssystems.

Musik und Schule

In der Schule spielt künstlerische Entwicklung im allgemeinen keine bedeutende Rolle. Österreich hat verglichen zu anderen Staaten jedoch ein vorbildliches Musikschulwesen. Es ist allerdings ein Prototyp des Prinzips „Milieu-Bildungssystems“, da es massive regionale Unterschiede gibt – jedes Bundesland hat ein eigenes Musikschulwesen mit eigenem Musikschulgesetz, die Musikschulbeiträge eine finanzielle Barriere darstellen und die Teilnahme auf Eigeninitiative beruht. Kurz gesagt: Musikalische Bildung genießen jene, deren Familien Interesse daran und die entsprechenden Ressourcen haben.

Künstlerische Exzellenz und gesellschaftliches Privileg?

Ist es zwingend notwendig, dass es eine gesellschaftliche Ungleichheit gibt, damit künstlerisch Ausgezeichnetes entstehen und bestehen kann? Künstlerische Exzellenz bedingt zumindest, das eigene Leben der künstlerischen Entfaltung widmen zu können. Ob das als Privileg empfunden wird, hängt wohl von der Gesellschaft ab, in der wir leben. In unserer Gesellschaft also ja! Mit dieser Erkenntnis drängt sich leider eine Frage auf, die privilegierten Kunstschaffenden an die Existenzberechtigung geht:

Soll es in unserer Gesellschaft überhaupt eine künstlerische Elite geben?

Gesellschaftliche Verantwortung der Kunstelite

Kultur und Gesellschaft können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Wer also denkt, Kunsteliten sind für unsere Gesellschaft nicht tragbar, meint eigentlich, die sozialen Ungleichheiten unserer Gesellschaft sind nicht tragbar und liegt damit natürlich goldrichtig.
Das elitäre Kulturwesen ist also nicht das Problem, sondern ein Symptom. Damit sind die Privilegierten aber noch lang nicht fein raus. Ganz im Gegenteil. Max Bell hat in seiner Kolumne vor kurzem den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Privilegierten und Eliten sind genau dann ein wertvoller Teil der Gesellschaft, wenn sie sich nicht daran ergötzen, Teil des Problems zu sein, sondern sich als Teil der Lösung präsentieren.

Was ist zu tun?

Im Kulturbereich bedeutet das, sich aktiv daran zu beteiligen, die gesamte Gesellschaft in das Kulturwesen einzubinden. Ein wichtiger Schritt dafür ist, das künstlerische Bildungsfeld offener zu gestalten und tiefer in das allgemeine Bildungssystem zu integrieren. Der entweder stark zugangsbeschränkte, oder sehr kostspielige tertiäre Bildungsweg darf nicht alternativlos sein. Dafür ist es beispielsweise untragbar, dass Erwachsene sowohl in Musikschulen als auch an Volkshochschulen oft wesentlich mehr bezahlen oder gar nicht erst einen Platz bekommen.

Kunstelite und Populärkultur

Nicht zuletzt muss sich das elitäre Kunstwesen davon abwenden, Populärkultur den Kunststatus abzusprechen und sich ihr stattdessen zuwenden. Ein reger Austausch zwischen allen Ausformungen von Kultur könnte nicht nur ein Exempel für eine an sich offenere Gesellschaft sein, sondern letztlich auch die Kunst an sich voranbringen. Denn wenn Kultur Gesellschaft ist, dann ist Kultur bestimmt nicht auf Opernhäuser und Jazzclubs zu reduzieren. Kultur hat nicht nur, wer privilegiert ist. Kunst macht nicht nur, wer studiert hat. Die Scheinwerfer immer nur auf die Kunst der Elite zu richten, kann nicht repräsentativ sein.

Gitarre- und Tonmeister-Studium.
Band-member of Full Of Thoughts.
Teilzeit Physikstudent.
Teilzeit politisch aktiv.
Nie wirklich Zeit für die Teilzeit-Aktivitäten...

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Previous Story

HUGGY BEARS 2020 - Einblicke in die performative Nachwuchsszene Wiens

Tyll
Next Story

Tyll tut #21 - #vanlife