Dastehend, ein Buch in der Hand, der Nacken schmerzt aber man merkt es nicht, zu vertieft in die Welt, die sich vor einem aus Worten baut. Menschen unterschiedlichsten Alters ziehen an einem vorbei, flüstern, reden, lachen, bewundern die Gestaltung der Buchdeckel. Durch das Klatschen des Publikums bei einer der Bühnen schreckt man auf aus der fiktiven Welt in seinen Händen, zieht weiter zum nächsten Stand.
Mitte November fand die Buch Wien statt, ein Potpourri aus Messeständen großer und kleiner Verlage, Lesungen und Diskussionen und Gesprächen auf den Bühnen. Die Buchmesse zeigte sich weltoffen, vom diesjährigen Gastland Russland über spanisch-lateinamerikanische Autorinnen bis nach Skandinavien, die Donauländer und den Iran wurde man sowohl bei den Ausstellern als auch im Bühnenprogramm fündig.
Weniger Sozialkontakte, mehr Bücher
In einem Punkt gab es Einigkeit der anwesenden Verlage und Buchhändler*innen: In der Pandemie wurde mehr gelesen. Es gibt keine Abstandsregel zu den Protagonist*innen, keine Maskenpflicht in den Kapiteln. Nach einem ganzen Tag online Meetings ist die Sehnsucht nach Buchseiten aus Papier groß. Nach Berichten der Buchhändler*innen wurden E-Books weniger gekauft als gedruckte Bücher.
Vor allem die kleinen Buchhandlungen profitierten, für sie war der plötzliche Umstieg auf reinen online-Handel bzw. Bestellungen über Telefon oder Internet und Abholung vor Ort leichter umzusetzen, wenn auch mit sehr vielen zusätzlichen Arbeitsstunden verbunden, erzählt die Wiener Buchhändlerin Petra Hartlieb.
Generell wurde in den Lockdowns mehr Belletristik als Sachbücher verkauft, auf der Messe waren aber auch viele informative Bücher ausgestellt. Die Spuren der Pandemie zeigen sich: Die großen Themen der Fachliteratur sind einerseits Gesundheit und Medizin, vor allem das Immunsystem, und Ratgeber zum Leben am Land, zur Selbstversorgung. Auch Erläuterungen über Verschwörungstheorien stechen aus dem Regal. Dazu kommen Bücher über verschiedenste Tiere und den Klimawandel, sowie einiges an Lesestoff über Demokratie, Rassismus, Antisemitismus und Feminismus.
Ein immerwährendes Thema ist die unendliche Weite über unseren Köpfen – Literatur über den Weltraum bereicherte mit schönen Bildern nicht nur die Regale, sondern auch die Vorstellungskraft.
Auf den Brettern, die die Buchmesse bedeuten
Am Eröffnungsabend der Buch Wien war Autor Michael Köhlmeier zu Gast. Florian Scheuba hatte das Vergnügen, ihn zu interviewen. Die beiden waren so in das Gespräch über Autorentum und österreichische Politik vertieft, dass keine Zeit mehr blieb, um aus Köhlmeiers neuestem Werk Matou vorzulesen. Dafür verriet der Autor den Zuhörer*innen , was eine*n sehr gute*n Autor*in ausmacht: “Der Autor muss der Figur gegenüber loyal sein, nicht dem Leser.” Es verlangt, im Sinne der Figur zu schreiben und nicht die eigene Weltsicht und Ausdrucksform zu Papier kommen zu lassen. Dann ging es hoch hinaus – durch die Galaxis, und zwar per Lastenrad. Lisa Mayr sprach mit der Wiener Astronomin Ruth Grützbauch – die mit einem mobilen Planetarium durch Wien radelt – über die nie enden wollende Faszination des Universums, der Möglichkeit von anderem Leben außerhalb der Erde und über Methoden, mit denen Astrophysiker*innen über den Weltraum erfahren. Eine davon zeigte sie direkt vor – mit einer Wärmebildkamera konnte das Publikum die eigene Wärmestrahlung beobachten.
Mit weiblichen Gästen, und zwar spanisch-lateinamerikanischen Krimiautorinnen, wurde fortgesetzt. Zu Gast waren Mercedes Rosende aus Uruguay, Teresa Ruiz Rosas aus Peru sowie die Spanierin Elia Barceló, moderiert wurde von Paco Bernal. Sie erzählten vom Druck, den man als Frau und als weibliche Schriftstellerin verspürt, vor allem in einem von Männern dominierten Genre. Man müsse mehr darüber nachdenken, was sich gut verkaufe, wie man seine Ideen vermarkten könnte. Aber auch man selbst sollte sich gut vermarkten, immer jung und frisch aussehen. In den meisten Punkten waren sie sich einig, in einem ganz besonders: Frauen schreiben über andere Themen als Männer, weil sie mit anderen Dingen konfrontiert sind.
Kurzausflug am Samstag in die Donau-Lounge bei Katja Gasser: Das Buch Čefurji raus erschien im slowenischen Original von Goran Vojnović bereits 2008, die deutsche Übersetzung (Tschefuren raus) lies bis zum heurigen Sommer auf sich warten. Klaus Detlef Olof erzählte, dass die Herausforderung beim Übersetzen die Einzigartigkeit und Vielschichtigkeit des “Tschefurischen” korrekt ins Deutsche zu übernehmen. Gelesen von Nikolaus Kinsky, zeigte sich, dass ihm dies gelungen ist.
Sonntag Mittag bildete sich dann eine Menschentraube um die Radio Wien Bühne. Alle wollten der Live-Aufnahme des transalpinen Podcasts Servus Grüezi Hallo der Zeit zuhören. Florian Gasser, Matthias Daum und Lenz Jacobson hatten Angela Lehner eingeladen, um mit ihr über die Vor-und Nachteile des Stadt- und Landlebens zu diskutieren, passend zum im August erschienenen Roman der Autorin 2001, in dem das Aufwachsen am Land thematisiert wird. Angela Lehner fasst es treffend zusammen: “Man hasst es einfach bis man 19 ist und gehen kann.”
Es war schön in dem kleinen Paralleluniversum aus Bücherregalen eine Pause zu machen von den Statistiken der aktuellen Fallzahlen und den Berichten über die Lage auf den Intensivstationen. So viel ist gewiss: Auch in den nächsten Lockdowns wird uns der Lesestoff nicht ausgehen.
Titelbild: (c) Nicola Montfort
Studium der Astrophysik. Psychotherapeut*in to be.