Kurz nach der Verkündung, dass Xaver Bayers Geschichten mit Marianne den Österreichischen Buchpreis gewinnt, bekomme ich auf meine Anfrage beim Jung und Jung Verlag eine nette Mail mit PDF-Datei zugeschickt – die Presseexemplare sind aus, nirgendwo ist das Buch mehr lieferbar. Ist der Hype berechtigt?
Titelbild (c): Zarah Weiss
Geschichten mit Marianne beginnt mit einem Schock, mit einem traurigen Zufall. Der Anschlag in Wien, bei dem ein Terrorist mitten im 1. Bezirk der Stadt Menschen erschoss, ist gerade eine Woche her, da steht direkt im ersten Kapitel, im ersten Satz, in der ersten Geschichte mit Marianne, Folgendes:
„Versteckt auf den Dächern und hinter manchen Fenstern in der Fußgängerzone im Zentrum der Altstadt, dort, wo die Dichte an Luxusartikelgeschäften, Banken und Nobelrestaurants am höchsten ist, haben seit heute acht Uhr Früh Scharfschützen begonnen, wahllos auf Passanten zu schießen.“
Kurz mal in diese PDF-Datei hineinzulesen, ist spätestens jetzt nicht mehr möglich. Der Erzählband nimmt gefangen, und obwohl ich immer nur ein Kapitel lesen will, ertappe ich mich nach jeder Erzählung dabei, „eine noch“ zu denken, nur eine weitere noch zu lesen. Die Geschichten mit Marianne sind anders, kurzweilig und unvorhersehbar. Im Fokus stehen der namenlose Erzähler und die titelgebende Marianne, seine Partnerin, eine Frau aus wohlhabendem Haus, die nicht nur immer wieder ihn an seine eigenen Grenzen bringt, sondern auch die Grenzen der Realität sprengt. Oft beginnt es mit einer Idee, die Marianne hat, mit einem Spiel. Und spätestens nach zwei oder drei Kapiteln ist klar, dass die Dinge zwar meist harmlos starten, aber dann schnell abdriften in (alb-)traumartige Sequenzen:
„Jetzt treibe ich schon eine Ewigkeit auf der Oberfläche des Pazifik, der wie ein lidloses Auge dem unermesslichen Weltenraum entgegenblickt, starr, furchtlos und gleichgültig.“
Wie ist die Figur dort gelandet, wenn es doch eigentlich mit einem Wellness-Programm zu zweit begann? Mal befindet sie sich in einem Lift, der immer weiter in die Höhe steigt, mal wird der Gang zu den Marmeladengläsern im Keller zu einer bodenlosen und labyrinthartigen Schlammpartie. Dann verschwindet Marianne immer wieder – mal nach einer Showpartie im Zirkus, mal stirbt sie brutal, mal befindet sie sich mit dem Erzähler erfrierend in einem Endzeitszenario. All das ist unfassbar befremdlich und dennoch lässt sich das Buch nicht aus der Hand legen. Die Buchpreis-Jury nennt es ein „brillantes, facettenreiches Nachdenken über unsere Zeit“.
Und auch nach dem Lesen begegnet mir der Erzählband noch überall, selbst bei einem kleinen Spaziergang im Bezirk. Da klebt das Cover auf beiden Seiten eines Stromkastens – Marianne kann man nicht entkommen!
Weitere Informationen
Mittlerweile ist das Buch wieder lieferbar, unter anderem hier!
Mehr Infos über den Österreichischen Buchpreis findet ihr hier. Der Debütpreis ging übrigens an Leander Fischer für Die Forelle (Wallstein Verlag).
Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.