Eine unspektakuläre, aber nette Erinnerung aus meiner Volksschulzeit: Während eine Freundin und ich Land of Illusion am Sega Game Gear zocken, kommt ihr Vater vorbei und fragt lächelnd „Und, seid’s ihr schon in der letzten Welt?“
Wir müssen es leider verneinen (da spätestens im vorletzten Abschnitt für uns immer Endstation war), aber ich freue mich in dem Moment irgendwie richtig darüber, dass ein Erwachsener, der persönlich nichts mit Videospielen am Hut hat, die Signifikanz des Konzepts der „letzten Welt“ anerkennt – insbesondere, da ich von meinem eigenen Vater in puncto Videospiel-bezogene Kommentare nur Ironisches der Marke „Oh, Super Bladio!“ oder (auf Link deutend, während ich Zelda spiele) „Ist das der Furzi?“ (von meinem kleinen Bruder postwendend mit „Ja“ beantwortet) gewohnt bin…
Aber was ist eigentlich das Besondere an der letzten Welt eines Spiels? Ist das nicht „dasselbe in grün“ wie der finale Akt eines Films oder das letzte Kapitel eines Buches? Ja und nein: Sicher, hier wie dort liegen Freude über einen gelungenen Abschluss und gewisse Wehmütigkeit, dass es nun vorbei ist, nah aneinander; in all jenen Medien darf man sich dabei auch etwa über einen gelungenen Spannungsbogen freuen oder über schlussendlich „versandende“ Handlungsstränge ärgern. Aber nur im Spielebereich rezipiert ihr eine letzte Welt in vielen Fällen gleichsam doppelt: Ob nur im Booklet vage angeteasert wird, welche Überraschungen und Gefahren im Finale lauern würden, ob ihr euch gar ingame storymäßig schon zu Spielbeginn kurz in das Reich des Oberschurken wagt, in einer gescripteten Szene von ihm vermöbelt werdet und gerade noch mit dem Leben davonkommt (und den Rest des Spiels damit verbringt, euch für ein „Comeback“ zu wappnen), oder alles dazwischen – eine gute letzte Welt muss, wenn ihr sie letztendlich aktiv erkundet, auch halten, was all das passive „Build-up“ zuvor versprochen hat!
Das schließt jetzt nicht nur den Grad an Herausforderung ein (Ein Weltenzerstörer verliert auch storymäßig an Glaubwürdigkeit, wenn er am Ende nach wenigen Treffern umfällt), sondern sämtliche Design- und inszenatorischen Facetten. Ein schönes Beispiel: Obiger Screenshot zeigt die vom monströsen Ganon besetzte Burg von Hyrule aus Zelda: Breath of the Wild (Wii U / Switch). Diese wurde nicht nur prominent im Zentrum der Spielwelt platziert und kann (die permanente Bedrohung symbolisierend) von vielen Orten aus am Horizont erspäht werden (auch im Nintendo-Artwork ganz zu Beginn dieser Kolumne), sondern es wird auch von Anfang an klar kommuniziert, dass dort das Finale stattfinden wird, und die massive Gefährlichkeit dieses Ortes hervorgehoben. Dass dies nicht nur leere Worte sind, erfährt jeder, der sich (Serien-untypischerweise jederzeit möglich) auf den Weg dorthin macht: Je näher ihr der Burg kommt, desto größer und gemeiner werden die Monster, sodass ein schlecht ausgerüsteter Link bald keinen einzigen Gegentreffer mehr übersteht. Und solltet ihr es in die Festung hinein schaffen, werdet ihr nicht nur von den allergefährlichsten Kreaturen, sondern auch von einer schlichtweg phantastischen, gleichermaßen einschüchternden wie antreibenden Musik empfangen: So gehört es sich für ein Finale!
Generell können letzte Welten Flair-mäßig besonders davon profitieren, in irgendeiner Weise einen „full circle“ zu beschreiben: Siehe etwa das monumentale N64-Jump&Run Donkey Kong 64, das euch parallel zu den Abenteuern der von euch gesteuerten Affenbande immer wieder unterhaltsame Zwischensequenzen aus dem Thronsaal des pläneschmiedenden Superschurken King K. Rool vorsetzt – wenn ihr DK & Co. schließlich diesen Ort betreten lasst, den ihr bereits seit der Intro-Sequenz (in welcher der seine Schergen kommandierende Rool im Blofeld-Stil ein kleines Krokodil streichelt) dutzende Stunden zuvor immer wieder als reinen Beobachter sehen durftet, fühlt sich dies (zusammen mit dem famos-abgedrehten darauf folgenden Finalkampf) wie das Ende eines sehr zufriedenstellenden Spannungsbogens an! Ein Prinzip, das sich aber nochmalig steigern lässt, wie es etwa Super Metroid für SNES tut…
Denn in diesem dritten Teil einer Serie startet besagter Bogen bereits zwei Episoden zuvor, als Kopfgeldjägerin Samus im NES-Erstling Weltraumpiraten-Anführerin Mother Brain besiegt: Nicht nur wird diese Szene im (für die damalige Zeit sehr cineastischen) Vorspann des SNES-Titels 16-Bit-gerecht rekreiert, auch verschlägt es die Heldin gleich zu Beginn in die Ruinen des damaligen Schlupfwinkels der Schurkin (oberer Screen). Und kommt ihr zu Spielende letztendlich in ihrer neuen Residenz an, wird Teil 1 nochmals fleißig zitiert, doch mit einem Twist (Spoiler für ein Spiel von 1994): Der Kampf gegen die Verteidigungsanlagen des überwiegend untätigen Riesenhirns im Glas erinnert zunächst, etwas ernüchternd, stark an das NES-Finale…bis das Glasgefäß zerbricht und hinter den Kulissen ein riesiger, grotesker Monsterkörper auftaucht, als dessen Kopf das nur scheinbar körperlose Denkorgan nun fungiert, was für eine temporeiche, komplett andere zweite Kampfphase sorgt: Wunderbar auf den Arm genommen!
Das waren jetzt freilich nur eine Handvoll Ansätze für denkwürdige letzte Welten: Von sauschwer bis komödiantisch-antiklimaktisch leicht, von bodenständig bis grotesk, von episch bis leichtherzig gäbe es noch Unmengen an Beispielen, von denen ich euch gern erzählen würde! Aber einerseits will ich euch natürlich nicht zu viele Überraschungen nehmen – und andererseits muss ich mich jetzt ohnehin verabschieden: Land of Illusion ruft – und will diesmal endlich mal komplett bis zur letzten Welt durchgespielt werden!
Vielen Dank fürs Lesen und hoffentlich bis zum nächsten Mal sagen Kolumnen-Katz und Old!
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Herausgeber des "Generation N"-Printmagazins und generation-n.at-Videoredakteur, Germanist, Informatiker, Videospielfreak seit Kindergartentagen, auch Kino, Comics und dem Basteln von seltsamen Kurzfilmen nicht abgeneigt sowie stolzer Absolvent eines Wochenend-Intensivkurses der Clownerie.