Frau mit Cover vor Gesicht

Story of our lives – der feministische Weltbestseller der Stunde

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Dieser Weltbestseller aus Südkorea erzählt eine Geschichte, die Millionen von Menschen auf der Welt in ähnlicher Form erleben. Was ihnen gemeinsam ist: Sie sind Frauen.

(c) Titelbild: Zarah Weiss

Kaum ein Buch aus der zeitgenössischen Weltliteratur eignet sich besser zur Besprechung am Internationalen Weltfrauentag als Cho Nam-Joos Kim Jiyoung, geboren 1982. Die Autorin, die lange als Drehbuchautorin fürs Fernsehen arbeitete, erzählt in diesem bereits 2016 in der Originalfassung erschienenen Roman eine ganz alltägliche Geschichte. Kaum etwas passiert hier, das wir nicht schon kennen, nicht tagtäglich selbst erleben. Die einzige Besonderheit findet direkt zu Beginn statt: Die 33-jährige Protagonistin Jiyoung (übrigens nicht ohne Grund einer der häufigsten weiblichen Namen in Südkorea 1982) beginnt plötzlich, in den Stimmen der weiblichen Personen in ihrem Umkreis zu sprechen. Was ist geschehen, damit es so weit kommt? Und was macht diese alltägliche Geschichte zur Sensation?

Die traurige Wahrheit steht bereits auf dem Cover, zusammengefasst von der New York Review of Books:

Man muss sich die millionenfach verkauften Exemplare dieses Buches als eine Art Mitgliedsausweis vorstellen, der die kollektive Erfahrung der Erniedrigung von Frauen belegt.

Willkommen also beim Internationalen Frauentag, willkommen mit einem südkoreanischen Roman, der die einzelnen Lebensstationen seiner Protagonistin erzählt, gewöhnlich, prototypisch und mit einer messerscharfen Bilanz in der Klarheit der einzelnen Sätze: Wer in dieser misogynen Welt aufwächst, kann tatsächlich einfach mal verrückt werden.

„Diese Geschichte könnte die Welt verändern“ – The Guardian

Die Person auf dem Cover des Buchs hat kein Gesicht – das hat bereits viele Menschen dazu veranlasst, das Buch hochzuhalten, ihr das eigene Gesicht zu geben. Denn nicht nur die Stationen von Jiyoungs Leben sind exemplarisch für die Erfahrungen vieler Frauen, auch die wie nebenbei eingewobenen Fakten über systematische Unterdrückung lassen sich von Südkorea auf alle Länder übertragen. Es sind nicht die großen, schrecklichsten Dinge, die ihr geschehen, die große Schrecklichkeit liegt vielmehr in den ununterbrochenen Nuancen, die ihr Leben bis zur Unerträglichkeit zu einem zweiter Klasse machen, beginnend bereits mit der Geburt. Jiyoungs Mutter treibt die jüngste Schwester ab, weil sie immer noch keinen Sohn geboren hat:

Bereits zehn Jahre zuvor war ein Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen legalisiert worden. Geschlechtsbestimmung und Abtreibung weiblicher Föten waren gesellschaftlich akzeptiert, als ob eine Tochter zu bekommen ein medizinischer Grund wäre. Diese Tendenz setzte sich durch die gesamten Achtzigerjahre hindurch fort und erreichte Anfang der Neunziger den Höhepunkt, als bei Drittgeborenen doppelt so viele Jungen das Licht der Welt erblickten wie Mädchen.

„Ja, aber!“, könnte es jetzt heißen. „Aber das ist doch dreißig Jahre her, aber das ist ein anderer Kontinent.“  Doch das tut erstens der Absurdität dieser Politik keinen Abbruch und ist zweitens erst der Anfang. Wiederkehrend wird alles in Jiyoungs Leben von den Männern um sie herum bestimmt. Wenn sie belästigt wird, macht ihr Vater sie dafür verantwortlich, wenn sie sich in der Arbeit mehr anstrengt als die männlichen Kollegen, werden dennoch diese befördert, wenn sie ihre Karriere für ein Leben als Hausfrau aufgibt, sieht nicht nur ihr Ehemann das als Pflicht, sondern wildfremde Männer im Park es sogar als Zuckerschlecken auf Kosten des Mannes.

(Über-)Leben in einer patriarchalen Welt

„Ja, aber!“, könnte es jetzt heißen. „Aber wo ist hier die Neuigkeit, wo ist hier etwas, das wir noch nicht wussten?“  Und genau darin liegt der Kern für den Erfolg des Romans. Die Psychose, die Jiyoung entwickelt, dient bloß als Rahmen, nicht als besonderer Plot-Twist, denn den braucht es gar nicht. Was es gebraucht hat, war eine Autorin, die anhand eines alltäglichen Beispiels erzählt, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Vieles ist anerzogen, vieles erscheint selbstverständlich, vieles ist vielleicht auf den ersten Blick nicht einmal als Misogynie erkennbar. Aber dennoch scheint es am Ende gar keinen anderen Ausweg zu geben, als sich seltsam zu benehmen, als verrückt zu werden. Gegen die gläserne Decke stoßen Frauen auf der ganzen Welt und nicht erst die Pandemie hat zum Vorschein gebracht, wer Zusatzpflichten und unbezahlte Care-Arbeit auf sich nimmt, um irgendwie das System am Laufen zu halten. Die Unsicherheit, nicht nur nachts auf der Straße, gehört genauso zum Alltag dazu und diese Systematik zieht sich weiter bis zu den zahlreichen Femiziden – erst letzte Woche gab es in Wien auf offener Straße einen Mordversuch eines Mannes an seiner Ex-Freundin.

„Ja, aber!“, könnte es jetzt heißen. „Aber warum soll ich dieses Buch dann noch lesen, wenn alles offensichtlich ist?“ Die Antwort ist simpel: Weil es gut ist, weil es wütend macht, weil es aufrührt. Weil es wie ein Sachbuch bewiesene Fakten, Quellen und Hintergründe liefert. Weil es zwar lähmend mit der Botschaft zurücklässt, dass eine Frau sich noch so sehr anstrengen kann und dennoch nicht den gleichen Lebensrealitäten wie Männer begegnet. It’s a man’s world. Aber auch, weil es in dieser Welt die kleinen Episoden gibt, den Austausch unter Kolleginnen, die Ehrlichkeit der Mutter, das Eingreifen der Busnachbarin, die Sisterhood. Weil es trotz oder gerade wegen all dieser Schrecklichkeiten kleine Hoffnungen spendet und dazu animiert, aktiv zu werden. Oder, in den Worten der Autorin über ihre Tochter:

Ich hoffe, alle Töchter dieser Welt können noch größer, höher und weiter träumen.

(c) Kiepenheuer & Witsch

Weitere Informationen

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Der Roman hat sich weltweit über zwei Millionen Mal verkauft und wurde bereits erfolgreich verfilmt.

Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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