Im ersten Artikel zu female anger wurde die Gestalt der „emotionalen Frau“ und die Angst vor ihr diskutiert. In der Interview-Reihe erzählen junge Künstler*innen, wie sie mit Wut umgehen und daraus der Succus ihrer Arbeiten entsteht. Ich habe drei junge Menschen per Sprachnachricht zum Thema befragt. Moritz Beichl ist einer von ihnen.
Der junge Regisseur identifiziert sich nicht als Frau, aber auch nicht ausschließlich als Mann. Beim diesjährigen Nestroy-Preis der Stadt Wien gewann er in der Kategorie „Bester Nachwuchs männlich“ und sorgte mit seiner Rede beim Wiener Publikum für Verwirrung.
Das Aufkommen von Wut zu erkennen, die daraus resultierende Spannung zu kanaliseren und in die Sprache der Kunst zu übersetzen, klingt in der Theorie nach einer schönen Formel. In der Praxis gelingt das aber nur den Wenigsten. Auch Moritz sagt, dass er daran arbeiten will. Generell ist er seiner Einschätzung nach eher harmoniebedürftig und unsicher, was darauf hinausläuft, seine Gefühle eher für sich zu behalten, um nicht verstoßen zu werden. „Mir fällt es wahnsinnig schwer, meine Wut direkt auszudrücken. Indirekt kommt sie in meiner Theater-Arbeit, in meiner Kunstsprache raus.“
„Shakespeare war schon als Autor wahnsinnig schwul.“
Moritz wählt bewusst Stücke aus dem klassischen Kanon, um die Rollen anders aufzulösen und differenzierte Besetzungsmöglichkeiten zu denken. Er hat vor Kurzem Shakespeares Was ihr wollt inszeniert, die für ihn tollste Shakespeare-Komödie zum Thema Sexualität. „Shakespeare war schon als Autor wahnsinnig schwul.“ Es gibt bei ihm sehr viele starke Frauenfiguren, was zu der Zeit sehr unüblich war. Frauen durften nicht auf die Bühne, deshalb wurden sie von Männern gespielt, die dann unglaublich viel zu sagen hatten. Dennoch löst sich das Stück dahingehend auf, dass es einen Geschlechtertausch gibt. Wer verliebt sich in wen? Der Klassiker endet in einer vermeintlich glücklichen, heteronormativen Weltanschauung. Doch natürlich hat Beichl es anders inszeniert: Gender spielt gar keine Rolle mehr. „Am Schluss küssen sich alle irgendwie.“
Jede Form von Wut hat ihren eigenen Ausdruck
Am Theater arbeitet Beichl gerne mit Frauen in Hauptrollen. Dabei ist für ihn das Allerwichtigste, dass sie sich in der Gruppe nicht zensieren. Jegliche Ausdrucksform muss zugelassen werden. Egal, ob Wut oder Heulkrampf. Egal, ob von Mann oder Frau. Die Wut der Frauen(rolle) darf ausgedrückt werden, wie es der*die Spieler*in in dem Moment empfindet. „Ich kann im Theater nur darüber forschen, wie Wut aussehen kann und an wen sie gerichtet ist. Ist die Wut an den Stoff gerichtet? Ist sie an das Publikum gerichtet? Ist sie an andere Frauen gerichtet? Ist sie an Männer gerichtet? So gesagt hat jede Form von Wut eine andere Ausdrucksform.“
Moritz Beichl wird als „männlicher“ Regisseur gelesen und inszeniert Stücke feministisch. Für seine Interpretation von Die bitteren Tränen der Petra von Kant des deutschen Regisseurs Rainer Werner Fassbinder war es ihm sehr wichtig, eher als Moderator zu agieren, um den sechs Frauen auf der Bühne mehr Freiheit zu lassen. Auch darin, einen Ausdruck für ihre Wut auf die Männer zu finden.
Diese Petra von Kant ist eine ganz wunderbare Figur. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt und hegt eine unglaubliche Wut auf Männer. Sie hat nur noch Frauen um sich und verliebt sich in ein junges Model. Meine Rolle war also, den Frauen zu helfen, eine Ausdrucksweise zu finden, weil ich mich unwohl darin gefühlt habe, einer Schauspielerin zu sagen, wie ich mir eine wütende Frau vorstelle.
Das Stück kommt zu einem gewissen Punkt, an dem sich alle Frauen gegenseitig anschreien. Der Regisseur spielt hier ganz gezielt mit dem klassische Bild der „hysterischen Frauen“, doch auf der Spieler*innen-Ebene zeigt er die Solidarität der Besetzung. „Wir haben gezeigt, dass die Schauspielerinnen diesen Abend zusammen entwickelt haben. Die Wut unter den Spielerinnen konnte auftreten, weil sie sich auf der Ebene der Rollenbilder wieder aufgelöst hat.“ Nämlich in dem Moment, als sie zusammen gesungen, sich die Hände gereicht und sich verbeugt haben. So wurde die Wut unter den Frauen beispielhaft und nicht exemplarisch dargestellt. Beichl exkludiert bewusst Männer vom Stück, sodass die Wut der Frauen direkt auf die Männer im Publikum übertragen werden kann. „Es gab keine Stellvertreter für den Mann, er durfte gar nicht auftreten. Er saß im Publikum und ist derjenige, der all jene Sachen gemacht hat.“
Schwache Frauenrolle = schwache Frau?
Moritz nervt die oft fehlende Differenzierung der beiden Begriffe „starke Frauenrolle“ und „schwache Frauenrolle“. Nur starke Frauen würden als starke Frauenrollen gelten, dabei gibt es sehr wohl auch starke Frauenrollen, die „schwache Frauen“ darstellen. Er glaubt, dass gerade in „schwachen Frauen“ eine Stärke liegt, die für Rezipient*innen und Spieler*innen wichtig ist. „Wenn Männer inszenieren, habe ich oft das Gefühl, dass starke Frauenrollen mit „klassisch männlichen“ Attributen versehen werden. Emotionen werden so ausgedrückt, wie Männer sie ausdrücken würden, was eigentlich eine kleine Themenverfehlung darstellt.“
Wenn du einen Text schreibst, erklärst du darin die Sexualität deiner Charaktere?
Das Erklären der Sexualität kann nur in der Theorie stattfinden. Im Theater geht es für ihn darum, Dinge erlebbar zu machen und einen abstrakteren Horizont zuzulassen. Er lässt das Publikum im Dunklen tappen, welches Geschlecht, welches Gender die Figur hat, weil gerade dem Publikum Räume der Interpretation offen stehen sollen. Im Team sei es aber gut, diese Frage so weit es geht vorher zu beantworten, damit die Figuren sich ihrer Identität sicher sind. „Ich verwende sehr gerne Küsse, die sehr vielschichtig lesbar sein können. Als sexuell, platonisch, männlich, weiblich, weil ich finde, dass die Grenzen sehr wirr sind und man das nicht klar voneinander abtrennen kann.“ So küssen sich dann Demian und Sinclair, in Beichls Hesses Inszenierung. „Irgendwann stellt sich dann gar nicht mehr die Frage, ob dieser Kuss jetzt schwul war und wer jetzt ein Mann oder eine Frau ist. Es gibt eine bestimmte Nähe, die sich jeder selbst erklären kann.“
Zuguterletzt bat ich um eine Empfehlung zum Thema (Film, Stück, Buch). Moritz‘ absoluter Lieblingsfilm ist Hedwig and the Angry Inch, eine Verfilmung des 1998 in New York uraufgeführten Musicals Hedwig and the Angry Inch aus dem Jahr 2001.“Ein Musical Film über eine trans-Frau, deren Geschlechtsanpassung gescheitert ist und jetzt nur noch einen „angry inch“ im Schritt hat.“
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