Volksoper: Gemeines Gemüse regiert die Welt

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Wegweisende Zauberwolle, eine Reise durch das zerstörte Pompei, das Ameisen- und Affenland, eine verbitterte Hexe mit Hängebrüsten, die Gemüse gegen König Fridolin aufhetzt. Offenbachs Le Roi Carotte ist ein Feuerwerk an Ironie und Phantasie und eine Herausforderung für Regisseur und Darsteller*innen. Wie kann man bei so einem Stück es nicht an Ernsthaftigkeit fehlen lassen? Die Volksoper und Regisseur Matthias Davids nehmen die Herausforderung an.

Eine Satire ist immer so eine Sache: Sie kann witzig sein und den Nagel auf den Kopf treffen, missglückt sie aber, wird sie zur substanzlosen Parodie, die sich vor lauter Grimassen schneiden verliert. Genau das ist die Schwierigkeit in der „komischen Zauberoper“ von Jacques Offenbach und seinem Librettisten Victorien Sardou. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass die Oper seit hundert Jahren nicht mehr aufgeführt worden ist. Die ursprünglich sechsstündige (!!!) Oper ist ein Verschnitt von literarischen Meisterwerken wie Faust oder Don Juan, erinnert in ihrer Aussage aber stark an die Zauberflöte: Nur liebende Menschen können wahrhaft regieren.

Auf der Suche nach Macht und Liebe

König Fridolin XXIV will mit der Heirat der Prinzessin Kunigunde von Krackhausen seinen verschuldeten Staat retten. Doch die Hexe Kalebasse (köstlich gespielt von Christian Graf) will sich für das Zauberverbot, das Fridolins Vater ihr verhängt hatte, rächen. Sie erweckt das königliche Gemüse zum Leben und verhext Hof und Volk. Fridolin und seine wenigen verbliebenen Freunde flüchten und machen sich auf die Suche nach dem Ring des Salomon, der Kalebasses Bann brechen kann. Nach vielen überstandenen Hindernissen und Prüfungen ist der Bann gebrochen, König Fridolin findet in seiner Gefährtin, Rosée-du-Soir, die wahre Liebe und kann sich endlich wieder auf seinen Thron setzen.

Im Zauberbann der Propaganda

Diese politische Satire wird in der Volksoper in Koproduktion mit der Staatsoper Hannover von Matthias Davids inszeniert. Der für seine Musical-Inszenierungen ausgezeichnete Regisseur inszeniert Die Karotte mit viel Schwung. Aktuelle Details amüsieren, wie zum Beispiel die Rübe im Donald-Trump-Aufzug oder ein Kickl-Zitat: „Ohne uns kippt die Karotte nach links!“.

Offenbach und Sardou hatten schon während des Deutsch-Französischen Krieges festgestellt, dass in der Politik alles möglich ist: Ja, dass das Volk sein Schicksal sogar einem Gemüse in die Hände legen will, wenn es nur genug verzaubert wird. Dass diese politische Satire heute besonderen Anklang findet, ist daher durchaus verständlich. Der Vergleich zu Donald Trump, Boris Johnson und der „Casino-Affäre“ wird daher auch genüßlich ausgekostet und sorgt für Aktualität in dem sonst märchenhaften Zauberstück.

Musikalische Disziplin im Kontrast zum inhaltlichen Überschwang

Musikalisch wird Offenbachs Vorliebe zur Darstellung skurriler Gesellschaften und Wesen klar: Zum Beispiel mit der erstaunlichen „Ameisen-Musik“ oder dem bestrickenden Zauberwolle-Duett. Hier paart sich Operettenklang mit experimenteller Lust.

Guido Mancusi treibt das Orchester zu Höchstleistungen: Mit Temperament und Humor hebt er den Operetten-Charakter wie auch die teilweise von Beethoven geprägte Strenge hervor. Dadurch entsteht ein musikalischer Kontrast zu dem verrückten Affentheater auf der Bühne.

Sängerisch beeindruckt Anja-Nina Bahrmann als Kunigunde, mit rundem schimmernden Sopran, Mirko Roschkowski als sympatischer, tänzerisch begabter König Fridolin und Sung-Keun Park als terroristischer, stimmgewaltiger Karottenkönig. Frech und überzeugend Marco Di Sapia als Polizeichef Pipertrunck, dem die meisten Punchlines zugeschrieben sind.

Um auf die Satire zurückzukommen: Auch wenn an vielen Stellen Grimassen geschnitten werden und viel Blödsinn auf Blödsinn folgt, wird der Nagel auf den Kopf getroffen: Politik ist und bleibt ein Schauspiel, ein Theater, und wir alle spielen mit.

Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.

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