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Who run the world? Girls! – Zumindest in „The Power“

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Was wäre, wenn das Patriarchat plötzlich radikal umgedreht würde? Was wäre, wenn überall Frauen die Macht ergreifen? Was wäre, wenn alle Männer Angst haben müssten vor einer Gabe, einer Kraft, einer Power? Ein Buch gibt Antworten – und noch mehr Fragen.

Es ist noch keinen Monat her, dass die Britin Sarah Everard auf ihrem nächtlichen Heimweg ermordet und damit ein großer Aufschrei über die Sicherheit von Frauen auf den Straßen dieser Welt hörbar wurde. wolf*gang hat an dieser Stelle darüber berichtet, hat deutlich gemacht, dass es nicht nur nächtliche Straßen sind, die bedrohen, sondern dass Belästigung und Gewalt, Catcalling und Sexismus gegenüber Frauen alltäglich sind. Allein in Österreich wurden seit Anfang des Jahres bereits sieben Femizide begangen. Um es mit den Worten der Autorin Margaret Atwood (The Handmaid’s Tale) zu sagen:

Männer haben Angst, dass Frauen über sie lachen könnten. Frauen haben Angst, dass Männer sie töten könnten.

Keine Geringere als Margaret Atwood ist es auch tatsächlich, die die Entstehung von Naomi Aldermans Roman The Power (im Deutschen etwas unglücklich mit Die Gabe übersetzt) gefördert hat. Sie sagt über das Buch, dass es unsere Art zu denken ändern wird – und das liegt an dem Grundplot, auf dem Aldermans 2017 mit dem Women’s Prize for Fiction ausgezeichnetes Buch fußt: Auf der ganzen Welt stellen junge Mädchen plötzlich fest, dass sie mit ihren Händen Elektroschocks verteilen können. Weibliche Neugeborene werden damit geboren, die jüngeren Frauen geben es an die älteren weiter. Diese Entdeckung bleibt für kurze Zeit faszinierende Spielerei, ihre Kraft wird dann aber schnell erkannt: Frauen sind auf einmal das physisch überlegene Geschlecht, sie können sich zur Wehr setzen und sie können vor allem diskriminierende Strukturen umdrehen.

Matriarchat, Patriarchat?

Am schnellsten geschieht das in den Ländern, in denen Frauen heute am stärksten unterdrückt sind: In Saudi-Arabien beispielsweise wird die Regierung gestürzt, dort, wo Frauen kaum allein über die Straße gehen konnten, ziehen sie in wütenden Mobs durch die Stadt, Opfer von Menschenhandel bringen ihre Peiniger um. Kurz: Es entsteht ein Matriarchat, auf der ganzen Welt, mal mehr, mal weniger radikal. Und die radikaleren Beispiele sind wahrlich nichts für schwache Nerven. Im Bürgerkrieg des ersten Frauenstaates sind explizit erzählte Vergewaltigungen und Morde (Triggerwarnung!) an der Tagesordnung, und Männern ohne weiblichen Vormund werden jegliche Rechte entzogen.

Ein Plot-Twist in der Zukunftsperspektive

All diese so schon drastischen Szenen steigern sich immer weiter hin zu einer Eskalation, die von der Autorin in einen Rahmen einer weiten Zukunft eingebettet wird: Zu Beginn und zum Ende des Buches schreibt Alderman in der Rolle einer befreundeten Leserin/Agentin an den fiktiven Autor/Historiker des historischen Romans The Power; sie gibt ihm Hinweise. Die Abtreibung männlicher Föten sei immer noch an der Tagesordnung, sagt sie, kann sich gleichzeitig nur schwer vorstellen, dass das einmal umgekehrt gewesen sein könnte, dass Frauen einmal ohne die Power gelebt haben könnten, dass Patriarchate nicht nur vereinzelt und friedlich vor tausenden von Jahren existiert haben könnten. Es ist ein etwas weniger radikales Matriarchat, in dem die Autorin und ihr Autor weit in der Zukunft leben. Zu guter Letzt gibt sie ihm den Rat, das Buch doch unter weiblichem Pseudonym zu veröffentlichen.

Dystopie oder Alltag?

Das ist ein bitterer Schlag ins Gesicht, wie der gesamte Roman: So grausam manche Szenen dort sind, so sehr sind sie Realität auch in unserer Welt. Was geht mit Power, mit Macht, mit Kraft einher? Wie sehr bedeutet eine solche Position auch immer eine Radikalisierung? Wie weit gehen Menschen, nur weil sie es können? Welchen Einfluss hat physische Überlegenheit auf die Verhältnisse? Und wie absurd radikal ist eigentlich bereits die Gesellschaft, in der wir leben?

All diese Fragen wirft der Roman auf, der in den USA kurz vor der #MeToo-Bewegung veröffentlicht und von Obama direkt auf seine Liste der besten Bücher gesetzt wurde. Er geht nicht auf die Existenz von trans*Menschen und Nichtbinären ein und er hat Stellen, an denen Begegnungen zu konstruiert wirken, Prozesse zu lang erscheinen, die Handlung sich verläuft oder Umkehrungen zu simpel wirken. Aber er gibt eine Menge Denkaufgaben, Denkansätze, vielleicht auch Denkveränderungen. In welcher Welt wollen wir leben? Ist das eine Utopie? Und ist unsere momentane Welt wirklich so zu unterscheiden von einer radikalen Dystopie?

The Power Cover
(c) Penguin Books

Weitere Informationen

Hier geht’s zum Buch! Die deutsche Übersetzung von Sabine Thiele findet ihr hier.
Hier erzählen Naomi Alderman und Margaret Atwood über ihr Mentorinnenprogramm und sind hier im Gespräch zu hören.

(c) Titelbild: Brandon Morgan/unsplash

Schreibt, seit sie sich erinnern kann. Stationen in Leipzig und Kopenhagen (Philosophie, Kultur und Film). Literaturwissenschaftlerin.

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