Die Corona-Krise hat uns alle an unsere Grenzen gebracht. Die unerwartete Ausnahmesituation war nicht nur ein Test für uns alle als Gesellschaft, sondern auch für unseren Staat und unser Rechtssystem. Um Schwächere zu schützen, haben wir, mehrheitlich bereitwillig, unsere Grundrechte einschränken lassen, auf eine Weise wie dies bisher noch nie geschehen ist. Ein solcher Einschnitt kann nicht unbemerkt vorübergehen und wird Spuren hinterlassen.
Unsere Grundrechte geben uns Freiheiten und beschützen uns in erster Linie vor dem Staat, der diese Rechte nicht ohne weiteres verletzen darf. Die Grundrechte gelten aber keineswegs absolut. Einschränkungen sind im System vorgesehen, ob diese im Einzelfall zulässig sind, kann in Österreich der Verfassungsgerichtshof prüfen. Diese Prüfung ist ein juristisch formalisierter Vorgang, endet aber letztendlich in einer Interessensabwägung. Zu guter Letzt kommt es also immer darauf an, wie wir die Frage, ob das verfolgte Ziel es wert ist, diese Einschränkungen in Kauf zu nehmen, beantworten. In der Corona-Krise schwebten diese Ziele klar vor uns: der Schutz der Alten und Schwachen, die Gesundheit der Bevölkerung und die Verhinderung von Toten. Die getroffenen Maßnahmen können so durchaus gerechtfertigt werden.
Rechtsstaat als Nebensache
Um einiges problematischer ist, in welcher Weise die Maßnahmen umgesetzt wurden und wie durch fragwürdige Konstruktionen und Desinformationen unsere Verfassung und Grundrechte zur Seite geschoben wurden, als wären sie unwichtige Nebensachen. Das ist es auch, was gefährliche Auswirkungen in der Zukunft haben könnte, sollten sich solche Praktiken normalisieren.
Einige der stark grundrechtseinschränkenden Maßnahmen, an welche sich der Großteil der Bevölkerung gehalten hat, gab es eigentlich nie. Höre ich mich in meinem Bekanntenkreis um, so dachten fast alle, Zusammentreffen an privaten Orten wären während der strengen Phase des Lockdowns verboten gewesen. Dies war allerdings nie der Fall. Von der Regierung als “Corona-Partys” betitelte Zusammentreffen in der eigenen Wohnung wären jederzeit legal gewesen, räumte letztendlich auch die Regierung ein. Legal heißt nicht vernünftig, doch trotzdem macht es Sinn, hier nachzufragen. Wieso gab es hier eine so starke Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Bevölkerung und der Wirklichkeit? Die Regierung hat in diesem Fall definitiv falsche Informationen kommuniziert, ob nun absichtlich, oder weil sie ihre eigenen Verordnungen nicht versteht, sei dahingestellt. Beide Varianten sind auf ihre eigene Art erschreckend.
Alle Normen reihen sich in unser Rechtssystem ein und können auf ihre Übereinstimmung mit höheren Normen überprüft werden, das gehört zum immer wieder hochgehaltenen System der Rechtsstaatlichkeit dazu. Unzulässige Verordnungen und Gesetze verlieren ihre Geltung. Gibt es aber keine Verordnung oder ein Gesetz, so kann dieses auch nicht auf seine Übereinstimmung mit der Verfassung und dem Rechtssystem insgesamt überprüft werden. Die Regelung wird damit dem Rechtsstaat und seinen Überprüfungsmechanismen effektiv entzogen. Im Nachhinein dann sinngemäß “Hoppalla” zu sagen und keine Konsequenzen daraus zu ziehen, kann nicht genügen. Praktiken wie diese dürfen nicht zur “neuen Normalität” werden. Die Bevölkerung eines Staates muss sich darauf verlassen können, dass Informationen, die direkt von der Regierung, den Repräsentanten dieses Staates, kommen, auch der Wahrheit entsprechen.
Unwissen als Gefahr
Bezüglich vieler weiterer Teile der Verordnung herrschte, und herrscht teilweise immer noch, Unsicherheit. War es wirklich jemals nur aus den berühmt berüchtigten Gründen möglich das Haus zu verlassen? Obwohl dies lange so kommuniziert wurde, scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein. Meinungen gehen aber auseinander. Was passiert jetzt aber, wenn ich bereits eine Strafe bekommen habe? Immer wieder hört man von Strafen, die durch Polizisten oder Behörden in den absurdesten Situationen verhängt wurden, die die Gerichte wohl noch einige Zeit beschäftigen werden. Wenn nicht einmal die Beamten, noch die Medien oder die Regierung selbst, durchschauen, was jetzt wirklich verboten oder erlaubt ist, wie kann es dann von der durchschnittlichen Bevölkerung verlangt werden? Eine solche Unsicherheit ist nicht gut für unser Rechtssystem, sie hat das Potential, das Vertrauen der Menschen in unsere Gesetze und die Verfassung in seinen Grundfesten zu erschüttern.
Handeln in der Krise
Definitiv muss berücksichtigt werden, dass eine nie dagewesene Situation vorlag. Keine der zuständigen Personen hat jemals eine vergleichbare Situation erlebt. Kritik wurde relativ wenig geäußert, dies war auch schwer möglich. Zusammenarbeit war wichtig und niemand wollte als derjenige dastehen, der sich den notwendigen Maßnahmen entgegenstellte. Jetzt, da die Krise nicht überwunden aber eingebremst wurde und wir uns nicht mehr in der gleichen akuten Notlage befinden, ist es Zeit zu reflektieren und zu diskutieren, wo richtig und wo falsch gehandelt wurde. Wir müssen wieder für unsere Verfassung und ihre Grundwerte einstehen, da wir nun wieder den Luxus haben, dies tun zu können.
Wenn selbst Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Fragen zur Verfassungsmäßigkeit der erlassenen Verordnungen und Gesetze sinngemäß antwortet, dass diese sowieso nicht von Dauer seien und bis zu einer Überprüfung wohl nicht mehr gelten würden, dann ist das erschreckend und nicht akzeptabel. Gerade in Krisenzeiten müssen Grundrechte und Grundprinzipien besonders gewahrt werden, um als Gesellschaft den Halt nicht zu verlieren.
Um sämtliche rechtliche Implikationen der Corona-Verordnungen herauszuarbeiten, bräuchte es wohl eine wissenschaftliche Arbeit. Letztendlich geht es uns aber alle etwas an. Hier geht es nicht nur um theoretische Paragraphenreiterei, sondern um die Grundlage unserer Gesellschaft, unsere – um es mit den Worten des Bundespräsidenten zu sagen – elegante und schöne Verfassung.
Juristin aus Wien, immer auf der Suche nach Antworten und Fragen.