marten mcfly kolumne

Rapper mit Gesichtstattoos

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In dieser Kolumne betrachtet unser Kolumnist Marten McFly die große bunte Welt des Deutschrap. Er will euch überraschende Einblicke, versteckte Perlen und durchdachte Kritik nahebringen. Diesen Monat geht es um das Zusammenspiel von Deutschrap und Gesichtstattoos.

Sierra Kidd trägt ein Auge, einen Mond und zwei Schwerter in seinem Gesicht, MC Bogy unter anderen das Brandenburger Tor, ein Tribal und ein großes B. Auch Mosh36, Max Cameo, Daniel Gun und Sentino haben ihre Gesichter mit schwarzer Kunst verziert. Gesichtstattoos sind im Deutschrap en vogue. In keiner Musikrichtung sehe ich mehr Künstler*innen mit schwarzer Kunst im Gesicht. Tatsächlich passt dieser Trend mehr zu Rap, als zu jeder anderen Musikrichtung. Rap lebt wie kein zweiter Musikstil vom Freiheitsgefühl. Jede Musik will Emotionen vermitteln und die allem zugrunde liegende Emotion im Deutschrap ist nun einmal ein Freiheitsgefühl: das Gefühl, dass einem alles egal sei und man absolut kompromisslos sein eigenes Ding durchzieht. Ein paar Jahre Blick hinter die Kulissen haben mir gezeigt, dass diese angebliche Freiheit eine große Lüge ist. Kaum andere Musiker*innen machen sich so abhängig von der Außendarstellung, wie Rapper*innen.

Sich bewusst die eigenen Möglichkeiten versperren

Diese Entwicklung zu Gesichtstattoos ist etwas wirklich Neues. Vor fünf Jahren war Daniel Gun mit seinem volltätowierten Gesicht eine absolute Ausnahme. Das höchste der Gefühle waren Tätowierungen auf dem Handrücken oder auf dem Hals, wie wir es beispielsweise bei Bushido sehen. Rapper, (mir fallen hier tatsächlich nur männliche Künstler ein) die Hand- oder Halstattoos tragen, begründeten dies mit ihrer eigenen Kompromisslosigkeit. Sie wollten für sich selbst den Weg in einen „normalen“ Beruf ganz bewusst verbauen. Sie argumentierten oft, dass sie mit einem nicht verdeckbaren Tattoo nie mehr für einen Banker-Job genommen werden würden. Deutschrap ist eine Musikrichtung, die immer wieder Pubertät widerspiegelt. Rapper*innen grenzen sich mit ihrer Kunst und ihrem Lebensstil von dem ihrer Eltern ab. Seien es die tatsächlichen Eltern oder die musikalischen Vorbilder. Wie soll man sich aber von seinen Eltern abgrenzen, wenn diese selbst tätowiert sind? Man ist scheinbar dazu genötigt, extremer zu werden.

Gesichter sind Kippbilder

Manchen Gesichtern sieht man an, dass der Träger ein Verwaltungsfachangestellter ist. Das können auch Piercings oder Tunnel in den Ohren nicht ändern. Selbst ein extremes Gesichtstattoo kann diesen Charakter eines Antlitzes kaum überdecken. Neben solchen Extremfällen sind die allermeisten Gesichter Kippbilder. Gedanklich kann man das Alter von Menschen verändern. In manchen Kleinkindern kann man problemlos das erwachsende Gesicht erkennen. Mit ein bisschen Übung geht das bei Gesichtern aus allen Altersklassen. Auch Gesichtstattoos hebeln dieses Kippbild nicht aus. In diesen Gesichtern lassen sich ebenso alternative, brave oder noch extremere Lebenswege hineindenken.

Die Mutter mit dem Tränentattoo

Hauptberuflich arbeite ich als Lehrer. Vor ein paar Jahren saß eine Mutter mit einem Tränentattoo unter dem linken Auge zu einem Elterngespräch bei mir im Klassenraum. Natürlich ging es ausschließlich um die schulische und persönliche Entwicklung ihrer Tochter. Unausgesprochen blieben meine Fragen zu der tätowierten Träne. So wie ich diese Mutter angesehen habe, so werden alle oben genannten Rapper täglich betrachtet. Sie sind nicht nur Kunstfiguren, die ihre Karrieren fokussieren. Es sind auch Menschen, die zum Bürgeramt oder Zahnarzt gehen. Am liebsten möchte ich all diese Rapper dazu interviewen, welche vielschichtigen Reaktionen sie registrieren und was das mit ihnen macht.

Wie fühlt sich das an beim Brötchenkauf?

Eine Rap-Karriere ist ein höllischer Aufwand. Niemand schüttelt das aus dem Ärmel. Alle Rapper*innen (mich miteingeschlossen) machen dies aus Geltungsdrang. Um der Welt auf die Nase zu binden, dass man etwas Besonderes ist, haben vor einigen Jahren Tattoos noch gut geholfen. Wenn aber heutzutage sehr viele Menschen ein solches tragen, muss man schon investieren. Was ist einfacher, als der Welt mit einem Gesichtstattoo zu zeigen, dass man anders ist?  Man bindet es den Menschen regelrecht auf die Nase. Man bekommt es mit jedem Blick an der Supermarktkasse gespiegelt. Sensible Menschen können das nicht ignorieren. Meine Empfehlung wäre ja stattdessen, sehr außergewöhnliche Musik zu machen. Aber das scheint oft schwieriger zu sein.

1 Comment

  1. Ich weiß nicht, ob „Kippbild“ eine Erfindung von Marten McFly ist. Ich lese das zum ersten Mal. Richtig ist aber zweifellos, dass unsere Wahrnehmung und unser Schönheitsideal von den Proportionen abhängt und weniger von der Farbe. An Gesichtstattoos werden wir uns wohl gewöhnen und das ist auch gut so.

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