2019 war ein aufregendes Jahr für die Wiener Band Buntspecht. Im Frühling erschien ihr erfolgreiches zweites Album Draußen im Kopf und nur wenige Monate später das ‚Halbum‘ Wer jagt mich wenn ich hungrig bin. An einem grauen Wintertag treffen wir Lukas Klein (Gesang, Gitarre und Klavier) und Florentin Scheicher (Melodica, Trompete und Gesang) zu einem Gespräch.
Wieso ist es denn eigentlich nur ein ‚Halbum‘, es hat doch elf Tracks, könnte also auch ein ‚ganzes‘ Album sein?
Lukas: Von der Länge her ist es jetzt kein klassisches Pop-Album, für uns fühlt es sich eher an, wie ein kleines Sammelsurium an Gedichten und ein paar Liedern. Es war auch eine kleine Spielerei.
Florentin: So ist es auch nicht entwickelt worden, es hat auch gar nicht den Anspruch. Es waren auch noch Sachen vom letzten Album übrig, die wir noch fertig mastern wollten.
Und das habt ihr im Studio aufgenommen? Das erste Album Großteils Kleinigkeiten wurde ja in Eigenregie fast allein aufgenommen.
Florentin: Also nicht ganz in Eigenregie. Wir hatten schon Hilfe von Klaus Tschabitzer (‚Der Schwimmer‘). Aber das erste Album war sehr rough, das haben wir in vier Tagen in einer Gartenhütte, die wir zum Studio ummodelliert haben, gemacht. Dafür war das nächste dann schon wirklich ein Studioalbum.
Was davon hat euch besser gefallen?
Florentin: Das ist immer eine schwierige Frage. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Alles hat seinen Zeitpunkt. Das erste Album hätte man nicht anders machen können und das zweite dann auch nicht. Aber wir haben schon vor, für das nächste auch wieder ins Studio zu gehen. Wir haben auch vor englische Nummern aufzunehmen, an einem coolen Ort, wo wir hinfahren und uns eine Woche Zeit nehmen.
Wunderbarer Übergang zu meiner nächsten Frage. Ihr schreibt ja meistens auf Deutsch, bzw. Wienerisch. Wo liegen da für euch die Vorteile, habt ihr euch bewusst dafür entschieden und war das von Anfang an klar?
Lukas: In Anfangszeiten haben wir eigentlich auch oft auf Englisch gesungen, bei den ersten Versuchen liegt Englisch natürlich näher. Auch weil unser Cellist nur Tschechisch spricht und Englisch versteht.
Zwischenfrage: Er spricht wirklich nur Tschechisch?
Lukas: Ja, aber letztens hat er uns eine Liebeserklärung geschickt, da hat er Deutsch gesprochen.
Und ihr übersetzt ihm die Texte?
Florentin: Ja, doch manchmal, aber er versteht schon die meisten oder zieht halt seinen Sinn daraus.
Lukas: Aber je mehr man spielt und sich damit befasst, wer man ist und was man will, desto mehr kommt man drauf, dass man das am besten in seiner Muttersprache ausdrücken kann. Alles andere kratzt halt nur an der Oberfläche, weil der Wortschatz viel geringer ist. Von daher war es dann viel stärker, viel aussagekräftiger und poetischer auch in unserer Muttersprache zu schreiben.
Aber es reizt euch dann schon, etwas auf Englisch zu machen?
Lukas: Es ist schon interessant, genauso wie es in der Kunst interessant ist, sich mit anderen Medien auseinanderzusetzen, nicht nur mit Musik, sondern auch mit Malerei oder Schrift oder was weiß ich. So ist es eben auch spannend, sich beim Schreiben mit anderen Sprachen auseinanderzusetzen. Man kommt dann auf andere lustige Sachen. Bei ein paar Übersetzungsfehlern oder legasthenischen Blödeleien denkt man sich: „Wow, was hast du da gerade für ein neues Wort kreiert?“
Ihr habt euch selbst als Kinderliedermacher für Erwachsene bezeichnet. Was meint ihr denn damit?
Lukas: Es waren ja Kinderlieder für Er- und Entwachsene, das darf man nicht vergessen. Puh (lacht), ich glaub‘ wir haben ein bisschen ein Definitionsproblem in einem klaren Satz oder Begriff auszudrücken, was wir machen, weil wir halt machen, was wir machen. I don’t know, das war irgendwie Blödsinn, hat einfach gut gepasst.
Ihr wollt euch ja auch genremäßig nicht festlegen, ihr macht sehr unterschiedliche Sachen. Es gibt ein Zitat, dass ihr euch nicht in eine Schublade stecken lassen wollt: „Auf ein Genre oder Klang-Ideal wollen wir uns nicht beschränken“. Heißt das ihr wollt noch mehr ausprobieren?
Florentin: Würde ich nicht sagen, ich glaube, es ist alles möglich. Bei uns war es nie der Fall, dass wir gesagt haben, wir sind eine Gypsy-Band, eine Jazz-Band oder eine Indie-Band. Es ist nicht wirklich ein klarer Weg, weil es sich immer weiterentwickelt und ein langer Prozess entsteht, bis wir wissen, wie sich das nächste Album anhört. Wir haben schon ungefähr ein Gefühl dafür, aber da kann noch viel passieren. Wir wollen noch mehr mit Effekten arbeiten und mit Instrumentierung. Und von dort ist alles möglich. Was passiert, passiert.
Wie läuft bei euch der Prozess der Textentstehung ab? Zuerst die Musik und dann der Text oder gibt es den Text schon und das Lied wird angepasst? Ihr schreibt ja teilweise auch gemeinsam.
Lukas: Teils, teils. Wie gesagt, die Herangehensweise ist so unterschiedlich wie die Stücke selbst. Manchmal ist es schon fast fertig, der Text und die Komposition. Oft entsteht was aus einem Jam heraus. Manchmal entsteht ein Text ganz allein und dann kommt die Komposition drüber, manchmal liegt er Ewigkeiten herum und dann ist es nach einem halben Jahr vielleicht fertig oder man lässt es dabei.
Florentin: Nein, es gibt kein Rezept. Es ist immer wieder anders.
Lukas: Es ist immer spannend, weil auch jeder von uns andere Musik hört. Zum Beispiel bei ‚Wir‘ (Anm. aus dem Album Draußen im Kopf) ist das besonders schnell gegangen. Das ist eigentlich aus einem Jam entstanden, mehr oder weniger gefreestylt…
Florentin: …und den haben wir dann danach zuhause gemeinsam zusammengeflickt. Jeder hat etwas beigetragen.
Ihr habt vorher gemeint, ihr hört sehr unterschiedliche Musik. Welche sind denn gemeinsame Vorbilder? Was hört ihr und wer entscheidet, wenn ihr gemeinsam im Auto auf Tour seid?
Lukas: Also Flo ist oft der Beifahrer, der darf da entscheiden. Darum muss man immer kämpfen (lacht). Demnach penetriert er uns mit seiner Musik, die ja auch sehr schön ist.
Florentin: Gemeinsame Vorbilder, das ist schwer. So viele Überschneidungen gibt’s gar nicht. Lukas beschäftigt sich grad viel mit Cohen und den Doors. Was wir im Auto viel gehört haben, mittlerweile auch schon fast wieder totgehört haben, sind King Gizzard and the Lizard Wizards. Ist aber manchmal auch zu anstrengend fürs Auto, wenn man schon sieben Stunden unterwegs ist und dann kommt noch Fresh Metal.
Lukas: Italo-Pop haben wir gehört und auch Trash hin und wieder.
King Gizzard and the Lizard Wizard sind ja ein bisschen chamäleonartig. Sind die ein Vorbild für euch? Sie wechseln auch in Genres.
Florentin: Ich muss sagen, ich beobachte die Band schon länger und sie sind für mich auf jeden Fall eine der interessantesten Bands, die es gerade gibt. Allein was sie videotechnisch machen. So gesehen kann man schon sagen, dass es ein starker Antrieb ist und wir uns da ähnlich sehen, alles in einem Kosmos zu machen. Also es widerspricht uns, das Video von irgendwem machen zu lassen und nicht darüber entscheiden zu können. Ihre Freiheit ist in jedem Fall inspirierend, weil es ihnen scheißegal ist, was jemand denkt, weil sie ganz unterschiedliche Dinge von Album zu Album machen können.
Lukas: Unterbewusst vielleicht, aber jetzt kein dezidiertes gemeinsames Vorbild. Uns ist diese Over-all-Ästhetik natürlich auch wichtig.
Florentin: Davon lebt es auch grundsätzlich, dass das alles in einem Universum lebt. Dass wir über alles handhaben und überlegen, was das nächste Video oder so sein könnte. Viel macht da der Flo, unserer Drummer, damit eben das Albumcover zu der Musik passt und nicht das Booklet dann ganz anders aussieht.
Eure Lieder sind sehr lebensbejahend und positiv, aber nicht happy-peppi. Würdet ihr euch als positive Menschen beschreiben?
Lukas: Absolut. Also ich kann nur von mir reden, aber ja eigentlich sehr positiv.
Florentin: Abgrundtiefer Seelenschmerz. Nein, Spaß, wir sind schon positive Menschen.
Lukas: Also auf jeden Fall geht es uns jetzt zumindest gerade sehr gut und das Leben ist großzügig, also kann man gut optimistisch sein. Und es macht glücklich, machen zu dürfen, was wir gerade machen.
Wie wichtig ist das Aufnehmen im Vergleich zu den Konzerten? Was macht euch mehr Spaß?
Florentin: Beides ist interessant. Aber Live-Konzerte waren für uns wichtig. Vor allem am Anfang. Zwei Jahre ist das schon her, dass wir uns gesagt haben: „Wir wollen einfach jetzt mal so viel spielen wie möglich. Wir müssen spielen.“ Ich glaube, wir haben da auch irrsinnig viel gelernt und einen Riesenfortschritt gemacht. Man merkt die Entwicklung und selten kann man so gut lernen wie live. Das gibt dann auch im Studio wieder was, das spielt alles miteinander zusammen.
Lukas: Man muss auch sagen, dass wir bis jetzt viel mehr Live-Erfahrung haben als im Studio. Das ist vergleichsweise ein Lercherlschas. Wir sind schon eine Liveband, wobei diese Wechselwirkung sehr interessant ist. Wenn ich mir eine Utopie ausmalen könnte, dann wäre das so: Solange es warm ist spielen, spielen, spielen und beim ersten kalten Sockenanziehtag straight ins Studio.
Auf eurer Webseite wird man zu den Donnerstagsdemos weitergeleitet…
Beide: Echt? (lachen) Das macht der Roman, glaub ich. Grundsätzlich haben wir die Webseite zusammen entwickelt, aber Updates macht viele der Roman.
Wie wichtig ist euch Politik, wollt ihr politische Musik machen und diskutiert ihr als Band viel?
Florentin: Auf jeden Fall, wir diskutieren schon sehr viel, wir haben manchmal echt gute Streitereien im Auto. Manche sind sehr gute Redner bzw. Dagegenredner und dann haben wir wirklich hitzige Diskussionen.
Lukas: Es ist auf jeden Fall auch schwierig in dieser Zeit nicht politisch zu sein. Irgendwie muss man schon ziemlich ignorant sein oder zu sehr in seiner Blase versunken, dass man das wegnegieren kann. Aber jetzt direkt textlich ist das etwas anderes, also das lyrisch aufzugreifen, da wird es schwierig, dass es nicht plump und fingerzeigend klingt.
Wahrscheinlich eine Frage, die ihr schon oft beantworten habt müssen, aber wie ist der Name der Band zustande gekommen?
Lukas: Florentin, du hast dir den ausgedacht, du darfst gerne darüber berichten. Das ist seine Lieblingsfrage (lacht).
Florentin: Da gibt’s viele Geschichten, welche soll ich denn erzählen? Also wir waren auf der Hütte und haben angefangen zu spielen und es war ein echtes Gewitter und wir sind drei Tage nicht von der Hütte heruntergekommen, hatten fast nichts im Kühlschrank mehr und dann ist an einem Tag einfach *PLATSCH* gegen die Fensterscheibe ein Vogel geflogen. Und das war ein Buntspecht und den haben wir gegessen zum Überleben und so ist der Name entstanden.
Habt ihr dann schon Ideen für die Zeit nach der Tour? Es gibt schon Ideen fürs dritte Album?
Florentin: Ja, wir sperren uns nach der Tour in eine Hütte auf der Rax ein, für 14 Tage und gehen mal wieder zurück zum Jammen.
Super, vielen Dank, dass ihr euch Zeit genommen habt!
Titelbild © Magdalena Widhalm