Das Traumajahr 2016: Donald Trump wird zum US-Präsidenten gewählt und das Brexit-Votum verändert von einem Tag auf den anderen Europa. In beiden Kampagnen hat die dunkle Seite der Digitaltechnologie eine große Rolle gespielt. Der Journalist Georg Diez und der Tech-Unternehmer Emanuel Heisenberg legen jetzt mit Power To The People bei Hanser Berlin eine Streitschrift vor, die für eine digitale Demokratie abseits der Trollfabriken und der Dominanz großer Tech-Konzerne plädiert.
Dass unsere Zukunft von digitaler Technologie dominiert wird, steht außer Frage. Wie aber kann man diese demokratischer gestalten? Wie kann ein Staat sicherstellen, dass seine Gestaltungsmöglichkeiten nicht von Tech-Giganten wie Google oder Facebook untergraben werden und gleichzeitig nicht in der Steinzeit stehen bleiben?
Die Autoren von Power to the People haben diesen Fragen ein ganzes Buch gewidmet. Sie kritisieren das momentan gängige Modell der Demokratie als zu starr, unflexibel und vor allem anfällig für eine zu starke Bündelung der Entscheidungskompetenz. Alternativ schlagen sie eine „offene und geteilte Organisation von Wissen und Macht.“ vor. Anstatt nur von Wahl zu Wahl, solle es zu einem dauernden Austausch der Bürger*innen mit den Institutionen kommen und diese damit „direkter und repräsentativer“ machen. Das ließe sich nur durch digitale Mittel realisieren, da sonst der Zeitaufwand für die einzelnen Bürger*innen zu hoch wäre.
Die Stadt der Zukunft
Außerdem stellen Diez und Heisenberg die Sinnhaftigkeit der Nation als Verwaltungseinheit in Frage und nennen die Stadt als Zukunft des demokratischen Prozesses. Hier denken sie an Formen direkterer Teilhabe der Bürger*innen an den Entscheidungen auf stadtpolitischer Ebene. Sie stellen Formen der direkten Demokratie vor, die sich ihrer Meinung nach nur mit Digitaltechnologie verwirklichen lassen.
Mit den richtigen technologischen Mitteln ausgestattet, sind lokale Behörden den nationalen weit überlegen.
Als Beispiel dient den Autoren hier immer wieder Barcelona. Hier würde seit einigen Jahren Technologie zum Wohle der Allgemeinheit eingesetzt, etwa durch Apps, die Bürger direkt am demokratischen Prozess teilhaben lassen oder durch die Digitalisierung der städtischen Infrastruktur. Die Auswertung, der im öffentlichen Raum gesammelten Daten, ermögliche gezielte Verbesserungen bei gleichzeitiger Kontrolle darüber, welche Daten wo landen. Dieses Wechselspiel zwischen klassisch vertikalen Strukturen und der direktdemokratischen Horizontalen ist eine wichtige Kontinuität in Power To The People.
Fragen über Fragen
Allgemein werfen die Autoren aber oft Fragen auf, ohne sie wirklich auszudiskutieren, wie etwa jene, ob künstlichen Intelligenzen auch gewisse Rechte zustehen sollten. Hier offenbart sich auch schon der eine große Fehler des Buches. Um die Vielzahl an Problemstellungen, die die Autoren anreißen, auch nur oberflächlich zu behandeln, müsste dieses Buch dreimal so lang sein. Natürlich muss eine Streitschrift, und nichts anderes ist dieses Buch im Grunde, nicht jeden Gedanken genau behandeln, in dem vorliegenden Werk aber nimmt die Ideenvielzahl oft überhand und der Leser fühlt sich überwältigt.
Diese größte Schwäche des Buches ist aber paradoxerweise gleichzeitig seine größte Stärke. Nie hat man das Gefühl, dass die Autoren sich an ein Thema nicht herantrauen, was wiederum Reflexionsprozesse auslöst. Power To The People regt zum Nachdenken über die wichtigsten Fragen unserer Zeit an, ist dabei aber nie pessimistisch. Stets sind Heisenberg und Diez, im Sinne der Prämisse des Buches, bemüht, für die unglaublich komplexen Phänomene, die sie beschreiben, Beispiele anzuführen, die bereits jetzt umgesetzt werden und Aussichten darauf zu liefern, was sich aus diesen in Zukunft Positives entwickeln könnte.
Wegweiser zum Selberdenken
Power To The People ist eine Aufforderung zum Grübeln. Das Buch stellt mehr Fragen als es beantwortet und wirkt dadurch stellenweise diffus. Schafft man es aber bis auf die andere Seite des Hardcovers, dann hat man, ob man es will oder nicht, neue Ideen. Über Demokratie, ihre Fehler und Vorteile, vor allem aber darüber, dass wir in Zukunft viel stärker an ihr teilhaben könnten. So ist das Buch auch zu verstehen, weniger als Denkanleitung, denn als Wegweiser durch die Vielfalt an Konzepten, die versuchen, Digitalisierung zu demokratisieren.
Weitere Informationen
Hier geht’s zum Buch.
Comitted to the best obtainable version of the truth.