Weil es jede Woche etwas gibt, das nach dem kleinen bisschen Meinung verlangt. Weil wir finden, dass frech und vorlaut immer besser ist als zahm und gefügig. Deshalb gibt unser stellvertretender Chefredakteur Max Bell kurz vorm Wochenende seinen Senf dazu. Er mischt sich ein, überall und immer. Damit wir wissen, was war, was ist und welche Themen ruhig noch ein bisschen (vor)lauter sein dürfen. Diese Woche: Die Flüchtlingskrise ist eine Krise der Menschlichkeit.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie es 2015 war. Ich war dabei, als tausenden Geflüchteten am Wiener Westbahnhof geholfen wurde, als mehr Helfer da waren als gebraucht wurden und Politiker reihenweise kamen, um sich mit eben jenen Helfern und Geflüchteten ablichten zu lassen. Was ist nur seitdem passiert?
Seit Tagen muss ich mir ob Erdogans brutalem Kalkül, Tränengas und Schüssen in Griechenland Tränen verkneifen. Ich sage mir: „Sei nicht so, das ist nicht sachlich, das ist nicht journalistisch.” Ich lese, wie Addendum Chef Michael Fleischhacker schreibt, man soll dieser Tage nicht pathetisch werden und denke, dass er im Grunde doch recht hat: Lieber sachlich, lieber ein kühler Kopf, dann wird alles gut.
Aber ist Mitgefühl gleich Pathos, ist es zu verurteilen, dass mir Menschenrechte noch etwas bedeuten und es mich betrifft, wenn diese mit Füßen getreten werden? Ist es nicht vielmehr so, dass Menschen, denen nicht die Tränen in den Augen stehen wegen jener „hässlichen Bilder”, die Bundeskanzler Kurz für so nötig hält, ein Problem haben? Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns fragen sollten, warum diese Menschen ihre Empathie ausschalten, sobald es um Menschen geht, die ein wenig anders aussehen als sie selbst?
Man muss dieser Tage wirklich stark sein. Aber nicht bei dem Versuch, sein Mitgefühl zu unterdrücken. Man muss stark sein, indem man sich trotz der Dauerbeschallung mit dem Wort „Außengrenzen” immer wieder daran erinnert, dass die Krise im Mittelmeer keine Frage des Grenzschutzes ist. Vielmehr ist sie eine Frage der Menschenrechte und ob Populismus und Angstmache für uns Grund genug sind, diese auszusetzen.
War das jetzt pathetisch? Ich denke das ist kein Pathos, das ist bloß Anstand und Anstand hilft. Immer.
Hier kann man die Seebrücke unterstützen, eine Organisation die sich für sichere Fluchtrouten einsetzt.
Comitted to the best obtainable version of the truth.
Gut geschrieben