Vorstellungen von Männlichkeit gibt es so viele wie Männer selbst. Zwischen der postmodernen Fantasie von der Auflösung der Geschlechtergrenzen und neofaschistischem Hypermännlichkeitskult ist aber viel Platz. Wie findet man sich in diesem Dschungel zurecht? Was denkt Mann darüber? Wir haben mit einigen von ihnen geredet. Darüber was es für sie heißt, ein Mann zu sein.
Im zweiten Teil der Reihe geht es vor allem um eines: Körper. Gibt es so etwas wie eine männliche Ästhetik? Sind Aggression und Gewalt Teil davon und warum? Wir sprechen mit dem Kampfsportler Ronny Kokert über einen bewussten Umgang mit der eigenen Männlichkeit.
Glaubt man dem Instagram-Hashtag #männer geht es bei einem Männerkörper vor allem um eines: groß, breit und möglichst viele Adern. Zwischen dutzende Oben-ohne-Fotos schieben sich das eine oder andere Bartpflegeprodukt, Selfie oder lustige Sprüche über Männerklischees. Das männliche Körperideal scheint zumindest auf der Fotoplattform recht eindimensional. „Wir leben in einer Instagram-Welt, 80% meiner Kunden kaufen Sportnahrung aus ästhetischen Motiven”, erzählt uns der Verkäufer in einem Sportnahrungsgeschäft. Ihm selbst gehe es beim Krafttraining hauptsächlich um gesundheitliche Aspekte, betont er. Schönheit sei dabei zweitrangig.
Gefährliche Ideale
Im allgemeinen Diskurs sind einseitige männliche Schönheitsideale aber weniger harmlos als man glauben möchte. Sogenannte Incels (kurz für Involuntary celibacy, was so viel heißt wie unfreiwilliges Zölibat), eine Internetcommunity, deren misogynes Weltbild durch angebliche sexuelle Zurückweisung durch Frauen bestimmt ist, stützen sich auf Theorien eines evolutionären Determinismus. Ihre scheinbare körperliche Unterlegenheit anderen attraktiven Männern gegenüber, mündet in extremem Frauenhass und der Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen und „überlegene” Männer.
Immer wieder werden diese Gewaltfantasien traurige Realität. Das Netzwerk weist enge Verbindungen zur rechtsextremen Szene auf. Erst in der jüngeren Vergangenheit führte diese Verschmelzung zweier extremer Ideologien zu grausamen Gewaltausbrüchen. Nicht selten sind Attentäter rechtsnationalistischer Anschläge auch Anhänger der Incel-Community.
Gewalt und Einsamkeit
In diesem Zusammenhang wird oft der Begriff der toxic masculinity ins Spiel gebracht. Was diese genau beschreiben soll, ist oft nicht ganz klar. Der Begriff wird in sozialen Medien derart inflationär gebraucht, dass er von seiner ursprünglichen Bedeutung abkommt. Eigentlich soll damit nämlich gezeigt werden, dass auch Männer unter den Ansprüchen, die die Gesellschaft an sie stellt, zu leiden haben. Männer würden alle Gefühle außer Wut und Aggression unterdrücken. Sie würden Konflikte vor allem durch Gewalt lösen und immer auf Dominanz gerichtet agieren. Mit den gesellschaftlichen Forderungen ist auch die Vorstellung verbunden, Männer würden ständig nach Sex verlangen und auch jederzeit bereit dazu sein. Auch ästhetische Idealbilder spielen, wie auch in der Incel-Szene, eine Rolle.
Untersucht wird ebenso ein Zusammenhang zwischen Männlichkeit und gesellschaftlicher Vereinzelung. Es besteht die Vermutung, dass die wesentlich höhere Suizidrate bei Männern auf das Phänomen toxic masculinity zurückzuführen sei. Männliches Verhalten an sich schlichtweg als toxisch zu bezeichnen, greift also zu kurz.
Kampfkunst und Körperlichkeit
Gewalt und Kraft sind oft aneinander gebunden, männlicher Körperkult betont in erster Linie Stärke und Überlegenheit. Wir treffen Ronny Kokert, Gründer der Shinergy Kampfkunst-Methode, Taekwondo-Weltmeister und Leiter des Integrationsprogramms Freedom Fighters, in seinem Studio in Wien. Eingangs haben wir ihn gefragt, was denn für ihn Männlichkeit ausmacht:
„Ich denke, das ist ein bisschen so wie mit „cool” sein. Wenn man behauptet, es zu sein und ständig darauf hinweisen muss, ist man es schon wieder nicht. Für mich gibt es kaum etwas Unmännlicheres als ständig darauf beharren zu müssen, wie männlich man ist.”
Er lässt Frauen und Männer immer gemeinsam trainieren, so könnten beide Geschlechter von einer jeweils anderen Körperlichkeit profitieren: Frauen von Männern, weil sie mit brachialer Kraft konfrontiert sind und Männer von Frauen, weil sie von diesen lernen können, Kraft auf smarte, strategische Art zu nützen.
Sowohl-als-auch statt Entweder-Oder
Ronny Kokert beschreibt das für ihn wichtige Polaritätsprinzip, das er in der taoistischen Philosophie kennengelernt hat. Zwischen den Polen, die hier die Geschlechter darstellen, würde sich ein Spektrum auftun. Hier finden wir eine Ästhetik des Sowohl-als-auch, ganz im Kontrast zum einfarbigen Bild, das über Werbung und Social Media vermittelt wird. Trotzdem möchte er Unterschiede zwischen Mann und Frau nicht verneinen, es geht vor allem um ein „Erkennen der Einzigartigkeit der Unterschiedlichkeit und Differenzierung.” Viele Menschen, die in der Spiritualität Einheit suchen, würden die verschiedenen Pole negieren:
„Dann wird nichts mehr bewertet, dann ist alles gut, dann verschwindet alles in einer rosaroten Blase, hinter einem Schleier und alles wird geliebt. Das mag in irgendeinem Yoga-Ashram in Indien funktionieren, oder einer Wellness-Therme, aber im Alltag funktioniert das nicht. Mann und Frau sind unterschiedlich. Diese Unterschiedlichkeit bringt gewisse Aspekte mit sich, die man auch respektieren sollte. Ohne sie zu bewerten, ohne sie irgendwie irgendwelchen Rollenklischees zuordnen zu müssen.”
FPÖ gegen Freedom Fighters
Wir kommen auch auf das Projekt zu sprechen, mit dem Ronny für Furore gesorgt hat: Bei den Freedom Fighters können Geflüchtete gratis Kampfsporttraining auf Wettbewerbsniveau in Anspruch nehmen. Dieses Jahr waren auch einige der Freedom Fighters bei der Kickbox WM in Bregenz erfolgreich.
Dabei hatte das Programm durchaus auch mit Gegenwind zu kämpfen. 2018 postete der EU-Abgeordnete Harald Vilimsky auf Facebook einen Beitrag, in dem er andeutete, Ronny trage mit seinem Training zu Gewalttaten von Asylwerbenden bei. Kokert antwortete mit einem offenen Brief, in dem er Vilimsky zum Rücktritt aufforderte.
Wir fragen ihn, ob er bei geflüchteten Jungs ein anderes Verständnis von Männlichkeit erkenne und wie er mit deren sich entwickelnder Maskulinität im Training umgehe.
„Man kann das sicher nicht verallgemeinern, aber es gibt schon die Tendenz, dass bei den jungen Burschen, die ich trainiere, ein doch sehr archaisches, von der Religion und der Gesellschaft geprägtes Männerbild vorherrscht. Das ist nicht unproblematisch. Gerade dann, wenn sie damit konfrontiert sind, mit Frauen zu trainieren, die vielleicht sogar besser sind als sie und sich auch nicht unterordnen. Es ist auch so, dass ich nicht alle jungen Männer aufnehmen kann. Denn wenn jemand damit wirklich ein großes Problem hat, dann kann er hier auch nicht mittrainieren.”
Mit Dämonen befreundet
Oft seien es aber Missverständnisse, die sich aufklären lassen. Das Bild von „wahrer” Männlichkeit sei nicht in Stein gemeißelt. Es gehe immer darum zu lernen, mit Aggression, negativen Gefühlen und den eigenen Schattenseiten umzugehen. Das möchte Kokert im Training vermitteln und jungen Menschen zeigen, wie sie archetypische Muster wie Wut und Angst nutzen können. So sei eskalierende Gewalt auch immer ein Zeichen dafür, sich mit diesem Teil der eigenen Persönlichkeit nicht auseinandergesetzt zu haben. Ronny Kokert erzählt uns von einem Gleichnis der buddhistischen Philosophie:
„In der buddhistischen Philosophie sind [die eigenen] Dämonen keine negativen Wesen, sondern Begleiter. Es gilt, diese Begleiter zu füttern, sich mit ihnen anzufreunden und sie, also seine Angst, zu nutzen. Würde man unsere [westlichen] Märchen umschreiben, müsste der Prinz den Drachen füttern, streicheln und mit ihm verbündet wieder ans Tageslicht treten.”
Verantwortung für die eigene Fehlbarkeit
Viele Männer hätten nicht gelernt, für eben diese Dämonen Verantwortung zu übernehmen. Kokert vermisst in unserer Kultur auch einen Initiationsritus, der diese Verantwortung klar markiert: „Ich fühle mich oft von Riesenbabys umgeben, die sich verhalten wie kleine Kinder. Überall wird die Schuld gesucht, aber die Verantwortung für das eigene Tun nicht übernommen.” Das zu lernen, sei aber ein langer, nicht immer leichter Prozess. Er selbst war immer wieder in Schlägereien verwickelt, um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen, da er sich nach einer Knochenmarksentzündung schwach und als Außenseiter fühlte, erzählt er uns. Als er lernte, seine Angst, seine Weichheit und seine Fehlbarkeiten zuzulassen, gab es keine Notwendigkeit mehr, innere Spannungen durch einen äußeren Konflikt abzubauen.
Versöhnung mit dem Ich
Der richtige Zugang zur eigenen Körperlichkeit kann also auch zu etwas Produktivem werden. Toxische Männlichkeit entsteht durch die Unterdrückung von Gefühlen, durch fehlende Auseinandersetzung mit wichtigen Teilen der Persönlichkeit, die Ronny Kokert als „Kriegergeist” bezeichnet. Nicht das Männliche an sich sei zu verdammen, sondern die Ignoranz gegenüber der eigenen Vielseitigkeit. Denn: „Aggression kann sehr viel Schaden anrichten, Aggression kann aber auch eine Kraftquelle sein, um Leistungen zu erbringen, die sonst nicht möglich sind. Man kann gegen etwas kämpfen, man kann aber auch für etwas eintreten.”
Kämpfen zu können, bedeutet nicht mehr, kämpfen zu müssen.
Hier geht es zum ersten Teil der Serie: Mannsbilder #1 – Boys don’t cry?
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[…] Ottakringer/Wolfgang-Magazin & Barthle B. […]