Sozialmarkt Wien

Hier kaufen sich Menschen nicht glücklich

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Der Sozialmarkt in Ottakring ist einer von drei Filialen des gemeinnützigen Vereins Sozialmarkt Wien. In diesem Geschäft können sozial Benachteiligte und Menschen in Not ihrem Wocheneinkauf nachgehen. Hier kaufen sich Menschen nicht glücklich.

Es ist elf Uhr am Vormittag in Wien Ottakring. Im Erdgeschoß des grauen Plattenbaus mit der Adresse Wilhelminenstraße 22 befindet sich eine Filiale des Sozialmarkts Wien. Betritt man den Laden, merkt man schnell, dass es sich nicht um einen einfachen Discounter handelt. Die Betreiber kennen ihre Kundschaft. Man tauscht sich untereinander in verschiedenen Sprachen aus. An der Eingangstür wird dem Großspender und Waffenhändler Gaston Glock für seine Unterstützung gedankt. Im Hintergrund läuft fröhliche Musik.

Was alles verkauft wird

Die Verkäuferinnen und Verkäufer wissen meist selbst nicht, was es diese Woche alles im Sozialmarkt zum Verkauf geben wird. Das Angebot variiert, je nachdem, welche Produkte vom Sozialmarkt angekauft werden können. Im Augenblick sind es vermehrt süße Speisen wie Schokolade oder Cornflakes. Zum Standard des Sortiments gehören alltägliche Produkte wie Brot, Milch, Aufstriche und Pasta. In den Regalen stehen mehr Markenprodukte, als man es anfangs erwarten möchte. Es gibt einen Bücherkorb und einen Fleischkühlschrank. Ein Käseregal sucht man vergebens. In einer Ecke wurde eine Hygienemittelabteilung mit Shampoos, Zahnbürsten und Waschmitteln eingerichtet. In der Nähe befinden sich einige Kleiderständer. Hier wird nicht nur zwischen Herren- und Damenmode, sondern auch zwischen neu und secondhand unterschieden. Gegenüber der Kasse steht ein Regal mit Gesellschaftsspielen und jahreszeitenabhängiger Dekoration. Im Augenblick sind es schon Adventkalender. Das sind die Luxusgüter im Sozialmarkt, die sich Kundinnen und Kunden vor allem zu Weihnachten gerne leisten wollen.

An der Kasse sitzt Gabi. Eigentlich ist sie schon pensioniert, doch seit zweieinhalb Jahren arbeitet sie jede zweite Woche in der Filiale in Ottakring. Gabi hat kurze blonde Haare. Sie ist redselig, freundlich und erzählt davon, dass ihr die Arbeit im Sozialmarkt Freude bereitet. Über ihre Stieftochter, die Mitbetreiberin der Hauptfiliale Donaustadt ist, sei sie damals auf den Sozialmarkt gekommen. Sie erklärt, wie der Sozialmarkt funktioniert. Jeden Tag werden alltägliche Produkte wie Milch und Brot vom Eigentümer Alexander Schiel direkt vom Produzenten zugekauft. Besonders das Brot ist sehr begehrt und meist schon nach gut einer Stunde ausverkauft.

Rationierte Produkte

Während des Gespräches mit Gabi wird eine Kundin freundlich darauf hingewiesen, dass die Stückzahl pro Einkauf auf einen Laib Brot beschränkt ist. Die Frau versteht Gabi anfangs nicht, deshalb zeigt Gabi auf den Laib und hebt dann ihren rechten Zeigefinger. Gabi erzählt, dass es öfter solche Sprachbarrieren gibt, doch auch, dass man sich am Ende des Tages immer noch mit Händen und Füßen verständigen kann. Da aus der Ukraine geflüchtete Menschen ebenfalls im Sozialmarkt einkaufen dürfen, ist die Kommunikation in den letzten Monaten etwas schwieriger geworden. Gabi meint, dass jene, die hier einkaufen, besonders freundlich zueinander sind. Es sind hauptsächlich Stammkunden. Hin und wieder gibt es auch unangenehme Zwischenfälle, doch diese bleiben die Ausnahme.

Die Menschen, die hier einkaufen, wollen nicht reden und versuchen, ihren Einkauf ungestört zu erledigen. Es sind vor allem ältere Leute, doch auch junge Mütter mit Kindern sind im Sozialmarkt Ottakring anzutreffen. Obwohl über die Lautsprecher fröhliche Musik gespielt wird, wirkt die Stimmung etwas bedrückend, anders als man es aus den meisten Lebensmittelgeschäften kennt. Wie in jedem anderen Supermarkt gibt es Aufschriften und Werbung für Rabatte, Sonderaktionen oder neue Produkte. In den Regalen stapeln sich auf der einen Seite hunderte Konservendosen über- und nebeneinander, auf der anderen Fertiggerichte in Plastikpackungen. Es gibt unzählige Arten von Teigwaren und auch Bier ist gerade im Angebot. Viele Produkte werden direkt in den Lieferkisten angeboten. Es gibt keinen Überfluss, dafür finden Menschen hier auf knapp 350 Quadratmetern alles, was sie für ihren Alltag brauchen. Ist ein Produkt jedoch ausverkauft, gibt es selten nochmal Nachschub.

Nicht jeder Mensch kann einfach in den Sozialmarkt gehen und dort beliebig viel einkaufen

Dafür braucht man eine sogenannte Einkaufskarte. Diese wird Menschen mit einem Grundeinkommen unter 1259 Euro netto ausgestellt, damit dürfen sie dann wöchentlich für 35 Euro Lebensmittel aus dem Sozialmarkt besorgen. Dafür muss man neben dem Meldezettel einen Einkommensnachweis oder den Erhalt der Mindestsicherung vorlegen. Auch Studentinnen und Studenten kann solch eine Einkaufskarte ausgestellt werden. Pro Haushalt ist aber nur eine Einkaufskarte erlaubt. Aktuell haben nur geflüchtete Menschen aus der Ukraine die Möglichkeit, ganz ohne Einkaufskarte im Sozialmarkt einzukaufen.

Auch wenn die Produkte im Sozialmarkt oft nur ein Drittel des Originalpreises kosten und manches sogar verschenkt wird, sind 35 Euro pro Woche zu wenig, um eine mehrköpfige Familie zu ernähren. Im Schnitt fallen bei einer vierköpfigen Familie monatlich über 600 Euro an Kosten für Nahrungsmittel und Getränke an, Tendenz steigend. Betroffene Menschen sind neben dem Sozialmarkt also auch auf teurere Geschäfte angewiesen.

Der Marktbetreiber Alexander Schiel versucht seit mehreren Jahren, diesen Menschen entgegenzukommen. Er eröffnete 2008 drei Sozialmärkte in der Bundeshauptstadt, ohne Förderungen aus öffentlicher Hand. Eine Filiale befindet sich in Ottakring, eine in Favoriten und die größte in der Donaustadt. Ziel von Alexander Schiel war es, die Sozialmärkte zu eröffnen, um sie ein paar Jahre später auch wieder zusperren zu können, so erklärte er sein Konzept damals der Zeitung MeinBezirk. Er hoffte, dass die Armut in Wien in wenigen Jahren ausreichend abgenommen hat. Die Realität sieht anders aus. Das spürt der Betreiber des Sozialmarktes besonders. Schnell war es Alexander Schiel klar, dass es nicht möglich sein wird, die Sozialmärkte allein durch gespendete Güter zu erhalten. Der größte Teil der Produkte wird deshalb bei den Produzenten direkt eingekauft und günstig im Sozialmarkt angeboten. Dafür musste Alexander Schiel lang auf sein privates Kapital zurückgreifen und viel Zeit investieren. Heute lassen sich zumindest die Fixkosten der drei Filialen durch den Markt selbst finanzieren. Auch dank seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wie Alexander Schiel alle ehrenamtlich für den gemeinnützigen Verein arbeiten.

Gibt es ähnliche Vereine?

Als Betreiber eines Sozialmarktes ist Alexander Schiel nicht allein in Wien. Das Hilfswerk SOMA, der Samariterbund, der Sozialmarkt Allesverwerter oder auch das StartUp Foodpoint betreiben in Wien Sozialmärkte, die vor allem in den Randbezirken der Stadt liegen. Auch in den anderen Märkten haben sozial benachteiligte Menschen die Möglichkeit, ihr Haushaltsbudget zu entlasten. Eine Einkaufskarte mit ähnlichen Voraussetzungen wie im Sozialmarkt Wien ist überall nötig. Nur das Projekt Foodpoint bietet kostenlos Lebensmittel an, die wegen Über- oder Fehlproduktion, wegen beschädigter Verpackung, oder weil sie einfach nicht der Norm entsprechen auf dem Müll gelandet wären.

Vor allem im Sozialmarkt Wien spürt man, dass aktuell alles teurer wird. Wöchentlich steigt der Zuwachs an neuen Kundinnen und Kunden. In der ersten Jahreshälfte ist die Zahl um knapp 30 Prozent gestiegen, so Alexander Schiel gegenüber Radio Wien. Es wird für den Betreiber deshalb immer schwieriger, die Menschen Wiens zu versorgen. Die Sozialmärkte geraten selbst in Not. Der Verein SozialShop musste wegen steigender Strom- und Treibstoffpreise bereits Konkurs anmelden. So lange wie möglich versuchen die Betreiberinnen und Betreiber die Preiserhöhungen bei den Produkten noch zu verhindern.

Für heute schließt der Sozialmarkt in Ottakring wie an jedem Tag um 14:30 Uhr. An Wochenenden bleibt er geschlossen. Gabi schreibt noch eine Liste mit Produkten, die morgen gebraucht werden. Hauptsächlich sind es wieder Milch und Brot. Sie macht ein Foto von der Liste und sendet es Alexander Schiel, der dann bei den Produzenten eine Bestellung aufgibt. Die Lieferung erfolgt in die Filiale in der Donaustadt, von der aus die Produkte weitergesendet werden. Alle paar Wochen kommen die Produzenten selbst in den Sozialmarkt und erkundigen sich, woran gerade Bedarf besteht. Es sind Produkte wie Teigwaren, Fleisch, Eier, Kuchen, Gewürze, Müsli, Aufstriche, Hygieneartikel und Getränke, die in unregelmäßigen Abständen geliefert werden. Dafür in großen Mengen. Nur Kleidung, Bücher, Kindersitze, Dekoartikel und Gesellschaftsspiele werden dem Sozialmarkt Wien gespendet.

 


Bilder: (c) Max Hatzl

Ich wünscht ich könnt.

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