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Recht auf Zukunft – Warum Kinder den österreichischen Staat verklagen

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Seit über 900 Tagen hat Österreich kein wirksames Klimaschutzgesetz. Weil die Bundesregierung daran scheitert, sich auf einen Reduktionspfad hin zur Co2 Neutralität einigen, ziehen nun zwölf Kinder und Jugendliche für den Klimaschutz vor Gericht. Ihre Forderung – ein Recht auf Zukunft. Wer sind die Kläger*innen und was treibt sie an? Wir fragen nach. 

Ich möchte unsere Leser*innen dazu einladen, sich auf eine kleine Zeitreise zu begeben, zurück in die eigene Kindheit. Stellt euch vor ihr seid wieder zwölf Jahre alt. Womit habt ihr eure Zeit verbracht? Was sind die Themen, die euch beschäftigt haben?

Wenn ich an diese Zeit denke, erinnere ich mich an das sandfarbene Holzmobiliar meiner Schule, das von meinen Klassenkameraden gerne zweckentfremdet wurde, um dem Lehrer nach der Pause den Weg zurück ins Klassenzimmer zu versperren. Das Quietschen der Turnschuhe in der Sporthalle, in der ich donnerstags zum Handballtraining ging. Die riesige Kollektion an Playstation-Spielen meiner besten Freundin und daran, wie wir nach einer ausgiebigen Session Sing Star unter der Decke über unseren Schulschwarm tuschelten. Oder an Nachmittage ohne Eltern im Freibad, die nach Langos, Frucade und Freiheit schmeckten.

Es sind ganz „normale“ Kindheitserinnerungen, die Lena und Smilla noch um eine weitere ergänzen können: den Klimaaktivismus. Mit gerade einmal zwölf Jahren schließen sich die beiden ihren jeweils lokalen Ortsgruppen von Fridays for Future an, basteln nach der Schule Demoschilder, gehen freitags auf die Straße und diskutieren mit anderen Aktivist*innen über Ursachen und Lösungen für die Klimakrise. In meiner Kindheit gab es bereits unzählige Umwelt-Dokus, wo die Klimakrise thematisiert wurde. Als Kind hatte ich das Gefühl ich kann nichts dagegen tun. Das hat mich fertig gemacht. Als die erste Fridays for Future Demo in Salzburg war, hatte ich das erste Mal das Gefühl etwas bewegen zu können obgleich ich noch jung war.“, erzählt die heute 16-jährige Lena von ihrem Weg in den Aktivismus. Von dieser Unsicherheit und dem Gefühl, dass die eigene Zukunft durch das Nichthandeln der Politik verspielt wird, kann auch die 15-jährige Smilla berichten: „Ich glaube ich kann für sehr viele junge Menschen sprechen, wenn ich sage, dass man sehr viel Angst hat. Unsere Zukunft sollte uns eigentlich offenstehen, doch durch die Klimakrise werden viele Wege, die man vielleicht einschlagen möchte, versperrt.“

Klimablockierer auf der Anklagebank

Lena und Smilla sind zwei der insgesamt zwölf Kinder und Jugendlichen zwischen fünf und 17 Jahren, die im Februar dieses Jahres mit der Unterstützung von Fridays for Future und dem Verein CLAW (Climate Law) die erste österreichische Generationenklage für Klimagerechtigkeit am Verfassungsgericht eingebracht haben.

Mit ihrer Klage richten sich die Kinder und Jugendlichen an den österreichischen Staat und die Bundesregierung. Im Sinne des im Pariser Klimaabkommen festgelegten Ziels, den globalen Temperaturanstieg auf möglichst 1,5, höchstens jedoch zwei Grad einzudämmen, hat sich Österreich eigentlich dazu verschrieben, bis spätestens 2040 klimaneutral zu sein. Grundlage hierfür sollte das österreichische Klimaschutzgesetz bieten, welches jährlich abnehmende Grenzwerte für Treibhausgasemissionen in den Bereichen Verkehr, Gebäude, Abfallwirtschaft, Industrie und Landwirtschaft festlegt. Das Problem: Die Verpflichtungszeiträume des österreichischen Klimaschutzgesetz sind seit 01. Jänner 2021 ausgelaufen. Die angekündigte Novellierung des Klimaschutzgesetzes, die den Pfad zur Reduktion der Emissionen bis 2040 sowie Instrumente und Verantwortlichkeiten zur tatsächlichen Erreichung der Reduktionsziele regeln soll, lässt weiterhin auf sich warten. Die Bundesregierung kann diesbezüglich keine Einigung finden. „Wir haben Zeitdruck. Klimaschutz lässt sich nicht einfach auf Morgen verschieben. Wir müssen jetzt handeln, denn wir spielen bereits mit den biophysischen Grenzen unseres Planeten“, kommentiert Lena die Situation.

Inhaltlich berufen sich die Kläger*innen auf ihre Kinderrechte, welche in Österreich in der Verfassung verankert sind und daher besonders geschützt sind.

Artikel 1: „Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit.“ BVG-Kinderrechte

Sie argumentieren, dass das quasi wirkungslose geltende Klimaschutzgesetz im Widerspruch zu den staatlichen Schutz- und Fürsorgepflichten gegenüber den Kindern heutiger und zukünftiger Generationen steht. Außerdem sähe das Gesetz keine gerechte Lastenverteilung der Einschränkungen vor, welche hinsichtlich des schwindenden Treibhausgasbudgets zukünftig notwendig werden würden, damit Österreich seine Klimaziele erreicht.

Es sei fatal, dass klimapolitische Ziele zu Ungunsten der Kinderrechte auf die lange Bank geschoben werden, meint Lena: „Unsere Zukunft ist nicht gesichert. Es gibt keinerlei Versicherung, dass das mit dem 1,5 Grad Ziel noch etwas wird, wenn weitergemacht wird wie bisher. Und deswegen müssen wir jetzt den Staat verklagen, wir sind im Grunde genommen fast dazu gezwungen.“ 

Die Entscheidung, ob den Kläger*innen mit ihrer Argumentation Recht gegeben wird, liegt nun beim Verfassungsgerichtshof, welcher eine Prüfung der Klage im Juni angekündigt hat. Falls dem Antrag Folge geleistet wird, könnte bereits im Herbst 2023 ein neues Klimaschutzgesetz verabschiedet werden, welches mit den Verfassungsrechten der Kinder im Einklang steht.

Es geht auch um Mitspracherecht

Die Fridays for Future Klimaklage berührt nicht nur die Frage, ob Kinder ein verfassungsgeschütztes Recht auf eine gesunde Umwelt haben, sondern auch, wie viel Mitsprache ihnen in demokratischen Entscheidungsprozessen obliegt. Beinahe alle der zwölf Kläger*innen sind unter 16 Jahre alt und haben damit kein Wahlrecht. Sie können also nicht mitentscheiden, welche Parteien in den Bundes- und Landesregierungen über die kommenden Jahre jene klimapolitische Richtungsentscheidungen festsetzen werden, die Klima und Umwelt potentiell irreversibel beeinflussen werden. Bisher blieb der Klimaprotest vielen jungen Menschen als einziger Weg, um sich Gehör zu verschaffen.  Dass jetzt auf den Rechtsweg gesetzt wird, um den Staat so zur Verantwortung zu ziehen, zeigt sich möglicherweise auch als Moment der Resignation. „Wir gehen jetzt schon seit Jahren auf die Straße, um zu streiken und zu demonstrieren, doch wir werden nicht genug gehört. Da wir nicht wählen können, haben wir keine andere Möglichkeit unsere Meinung einzubringen“ , erzählt uns Smilla.

Gemeinsam mit den anderen zehn Kindern und Jugendlichen, welche an der österreichischen Klimaklage beteiligt sind, stehen Smilla und Lena stellvertretend für ihre und alle ihnen folgenden Generationen ein. Ihre Vulnerabilität, als Kinder und Jugendliche zu denjenigen zu gehören, die mit am meisten an den Folgen der Klimakrise zu leiden haben, gibt ihnen im Rechtssystem möglicherweise den Schlüssel in die Hand, um für alle eine bessere Welt zu erkämpfen. Das ist auch eine Form von „Empowerment“ wie Lena erzählt. Dennoch – sie können diesen Weg nicht allein gehen: „Wir haben auch nicht unendlich Ressourcen. Wir brauchen alle Menschen, um in Österreich und global Klimagerechtigkeit zu erreichen.“ 

Lena und Smilla wünschen sich deswegen beide auch von den älteren Generationen einen aktiven Einsatz für den Klimaschutz. Das muss nicht unbedingt bedeuten, wie sie bis vors Verfassungsgericht zu ziehen, wie uns Smilla erklärt: „Der Kampf ist so breit und hat so viele Facetten, wo man selbst mitwirken kann. Allein ein Gespräch, eine Diskussion mit Freunden bringt schon so viel. Es braucht Beiträge von jeder Seite, egal wie groß oder klein sie sind.“ Das Wichtigste sei ihnen aber, dass man ihnen zuhört, egal ob die Klimaklage nun durchgeht oder nicht.

„Denn wir sind die Generation der Zukunft. Man kann uns nicht einfach ignorieren, das wäre fatal.“ Lena


© Foto: Julian Kragler

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